Im Einsatz mit den Straßenengeln
Warum eine 72-Jährige sich für Obdachlose engagiert: Begegnung auf Augenhöhe
Oldenburg – Es riecht nach gebratenen Zwiebeln und Schinken. Ein Handvoll Menschen ist an diesem Samstagvormittag in der Freizeitstätte „Die Villa“in Eversten zusammengekommen – offensichtlich, um gemeinsam zu kochen. Allerdings handelt es sich weder um eine TV-Kochshow noch um ein ausgelassenes Miteinander. Denn hier köcheln gerade sechs Oldenburger Straßenengel mehrere Liter Kartoffelsuppe, die gegen 15 Uhr zur Post beim Hauptbahnhof gebracht und unter Obdachlosen und Bedürftigen verteilt wird. Während Malte, Mona und Gabriele Kartoffeln schälen, schrubbt Inge Möhren, Ilka wäscht ein paar Stangen Lauch und Heiko schwingt den Kochlöffel – in vier Töpfen gleichzeitig mit zehn Kilo Kartoffeln, drei Kilo Möhren, diverse Stangen Lauch, zwei Kilo Zwiebeln, sechs Töpfen Sahne und Schinken.
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Corona erschwert den Ehrenamtlichen die Arbeit immens: Sie hantieren in Handschuhen und mit Maske, die Suppe muss am Ende in 80 Einzelportionen abgefüllt werden. In einer Zeit vor Corona konnten die Straßenengel das Essen einfach vor Ort verteilen. Die Menschen saßen auf Bänken und klönten: „Sie brauchen das auch. Aber wir legen großen Wert darauf, die Hygieneregeln einzuhalten, damit wir unsere Arbeit fortführen dürfen. Alles andere wäre für die Obdachlosen eine Katastrophe“, erzählt Straßenengel-Initiatorin Mona Körber, die mit ihrem Mann Heiko an diesem sonnig-kalten Samstag im Februar die „Regieanweisungen“gibt.
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Handschuhe und Maske
Während das Ehepaar Körber und Ilka bereits „alte Hasen“sind, ist für Gabriele Michels vieles neu: Über einen Vortrag in der Kreuzkirche war die resolute 72-Jährige mit Kurzhaarschnitt und wachen blaugrauen Augen im Herbst auf die Straßengel aufmerksam geworden. Seitdem hilft sie einmal im Monat: „Ich komme mit Freude hier her.“Und nein, nicht, weil sie sonst vor Langeweile eingehen würde,
Hat den „Hygienetisch“übernommen: Gabriele Michels berät Bedürftige bei Shampoo, Zahnpasta und Deo.
denn sie verreist gern mit ihrem Lebensgefährten, kümmert sich um die Enkelkinder, um Flüchtlinge und engagiert sich im Ökumenischen Arbeitskreis Wohnungslosenhilfe. Kurzum: Sie steht mitten im Leben und genießt es: „Ich will am Ende aber auf ein sinnvoll erfülltes Leben zurückblicken“, sagt sie. Da gehöre es für sie dazu, anzupacken. Und das tut die 72-Jährige an diesem Vormittag unermüdlich – sie wechselt zwischen Gemüseschneiden und Kochtopf, wischt zwischendurch die Tische, räumt auf und ab, kocht literweise Kaffee und Tee und verpackt mit Inga und Malte Brötchen in Tüten.
Der 31-Jährige ist neu dabei: Vor ein paar Monaten war er von Ludwigshafen nach Oldenburg gezogen. „Ich hatte dort für die Tafel gearbeitet,
aber in Oldenburg passten die Arbeitszeiten nicht“, erzählt er – nun ist er ein Straßenengel: „Eine tolle Sache.“Die Straßenengel helfen also nicht nur Menschen in Not, der Verein führt auch ganz unterschiedliche Persönlichkeiten generationsübergreifend zusammen – wie Gabriele Michels und Malte. Flugs ist der Vormittag vorbei, die Suppe umgefüllt. Nun heißt es einpacken: Sämtliche Lebensmittel, Thermoskannen, aber auch Schlafsäcke, Isomatten, ungetragene Kleidung, Hygieneartikel wie Deo, Haarwaschmittel oder Cremes werden in den Bullis verstaut. Weiter geht’s zu Post am Bahnhof.
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Geduldiges Warten
Dort warten schon rund 25 Frauen und Männer in einer 8o Portionen Kartoffelsuppe müssen einzeln verpackt werden – so lauten die Hygienevorschriften. Aber das hält Gabriele Michels und Heiko Körber nicht davon ab, zu helfen.
Schlange geduldig auf die Straßenengel. Als Mona Körber aus dem Auto springt, begrüßen die Anwesenden sie freundlich – man kennt sich. In Windeseile bauen die vier Frauen und zwei Männer die Tische auf, Gabriele Michels übernimmt den „Hygienetisch“. Sie trägt dicke Winterschuhe und eine himmelblaue Wollmütze gegen die Kälte. Die nächsten zwei Stunden berät sie die Frauen und Männer, bespricht mit ihnen, welche Zahnbürste, welches Duschgel am besten passt: „Es geht darum,
sich auf Augenhöhe zu begegnen“, betont die 72-Jährige.
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Mehr Frauen betroffen
Da ist zum Beispiel Renate, blonde gepflegte Haare, Kreolenohrringe. Die Mittsechzigerin lebt von Hartz-4 und kommt seit Jahren zum Bahnhof. Sie kann sich zwar eine kleine Unterkunft leisten, aber viel übrig bleibt nicht. „Ich bin dankbar für die Dinge, die ich hier bekomme.“Über die Jahre habe sie viele Obdachlose