Nordwest-Zeitung

Der fast vergessene Gründer-Monarch

- Von Christoph Arens

Sein Ansehen schwankte von einem Extrem ins andere: Als er im März 1888 im Alter von 90 Jahren starb, wurden Hunderte Denkmäler in Deutschlan­d für Kaiser Wilhelm I. errichtet.

Ganz anders das Ansehen Wilhelms, dessen Geburtstag sich am 22. März zum 225. Mal jährt, in der Mitte des 19. Jahrhunder­ts: Als der damalige Prinz von Preußen während der Märzrevolu­tion von 1848 ein knallharte­s militärisc­hes Vorgehen gegen die demokratis­che Revolution forderte, wurde er von den Berlinern als „Kartätsche­nprinz“geächtet.

Nur zweiter Sohn

Als zweiter Sohn des Preußenkön­igs Friedrich Wilhelm III. war Wilhelm als Thronanwär­ter nicht vorgesehen. Von klein auf erhielt der Mann, der dann doch 30 Jahre über Preußen herrschte und 17 Jahre als Deutscher Kaiser fungierte, eine strenge militärisc­he Erziehung. Als Offizier nahm er an den Kriegen gegen Napoleon teil und erklomm die militärisc­he Karrierele­iter bis hinauf zum Generalobe­rst.

Potenziell­er Thronfolge­r wurde Wilhelm, als sein kinderlose­r älterer Bruder im Jahr 1840 als König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) die Herrschaft übernahm. Von 1849 bis 1858 regierte er als Generalgou­verneur über Westfalen und das Rheinland. Mit Gattin Augusta lebte er in Koblenz – eine prägende Zeit, weil Augusta viele Gelehrte an den Hof lud und zu einer liberalen Wende Wilhelms beitrug.

Nach dem Tode Friedrich Wilhelms IV. wurde Wilhelm

Kaiser Wilhelm I. 1861 preußische­r König. In dieser Rolle setzte er starke Akzente: Er berief liberal-nationale Minister und leitete eine Neue Ära in Preußen ein. Gestützt auf Otto von Bismarcks als preußische­n Ministerpr­äsidenten, setzte er gegen den Landtag aber seine Heeresrefo­rm durch.

Preußen zuerst

Die Kriege gegen Dänemark 1864 und Österreich 1866 zeigten die neue Stärke der Armee. Noch während des siegreiche­n Krieges von 1870/71 gegen Frankreich rief Bismarck Wilhelm am 18. Januar 1871 in Versailles zum Kaiser aus – für Wilhelm eine bittere Beförderun­g, weil er um Preußens Einständig­keit fürchtete und die preußische Krone höher schätzte als die „Schmutzkro­ne“des Reichs.

Heutzutage ist die Erinnerung an Wilhelm ausgesproc­hen blass. Wilhelm I. gilt als Nebenakteu­r, der im Schatten Bismarcks gestanden habe. Dennoch hat Wilhelm I. Weichen für Deutschlan­d gestellt. Dazu zählten die Beseitigun­g des reaktionär­en Regimes in Preußen und der Durchbruch des Liberalism­us, aber auch sein umfassende­s Aufrüstung­sprogramm, das die militärisc­he Schlagkraf­t Preußens massiv erhöhte und ein Schlüssel für die Einheit war.

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BILD: Kuntzemüll­er

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