Corona gerät aus dem Blick
Wie Pandemie-Daten weltweit löchrig werden und warum das gefährlich ist
Wie hoch ist die Inzidenz am Ferienort? Wie häufig wird derzeit getestet? Und wie entwickeln sich Virusvarianten etwa in Großbritannien? Bei vielen Fragen zur Pandemie konnten sich Forscher und Interessierte bisher international auf Daten stützen. Mit fallenden Schutzmaßnahmen und einem generell lockereren Umgang mit dem Virus in vielen Ländern könnte es damit bald schwieriger werden. Nicht nur die Menge, auch die Belastbarkeit und Aktualität der Daten dürften nachlassen.
Politische Ursachen
Beobachter sehen bereits einige Einschnitte: Das Überwachen und Melden der Virusbewegungen beginne sich zu verlangsamen, und zwar wegen politischer Entscheidungen, fasste das Fachblatt „Nature“kürzlich zusammen. Die Folgen könnten desaströs sein, hieß es. Dass die Überwachung vielerorts heruntergefahren wird, sei vergleichbar mit dem Absetzen von Antibiotika beim ersten Nachlassen der Beschwerden und erhöhe das Risiko eines bösen Rückfalls.
In Deutschland haben erste Bundesländer aufgehört, an Wochenenden Fallzahlen an das Robert Koch-Institut (RKI) zu übermitteln. Folge: Die Aussagekraft der tagesaktuell berichteten Neuinfektionen ist laut RKI am Wochenende und zu Beginn der Woche eingeschränkt. Um den Verlauf zu beurteilen, sei der Blick auf den Wochenverlauf zielführender. Auch die Zahl der durchgeführten PCR-Tests soll nur noch alle 14 Tage statt wöchentlich erscheinen.
Der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb blickt mit Sorge auf die nachlassende Informationsgüte und -menge: Es werde auf jeden Fall auch in der nächsten Zeit sehr wichtig sein, gute Zahlen zur Verbreitung des Virus und vor allem zum möglichen Auftreten neuer Varianten zu haben. „Für das Management etwa in Krankenhäusern bis hin zur Hotspot-Definition werden ja nicht weniger, sondern mehr, und noch wichtiger: bessere Daten benötigt.“
Deutlich größere Lücken sind in anderen Ländern absehbar. Die britische Regierung hatte etwa angekündigt, die öffentliche Förderung verschiedener Corona-Überwachungsstudien und Datensammlungen im Frühjahr auslaufen zu lassen.
Britische Gesundheitsexperten kritisierten das Vorhaben. „Die Datensammlungen vorzeitig zu beenden, ist falsche Sparsamkeit und muss möglicherweise rückgängig gemacht werden, um zukünftige Corona-Wellen zu bewältigen“, sagte der Experte für öffentliche Gesundheit, Azeem Majeed, vom Londoner Imperial College kürzlich. In einem Beitrag im Fachblatt „British Medical Journal“bezeichneten Wissenschaftler und Mediziner die Strategie als „Spaziergang im Dunkeln“.
Dänemark dampft ein
Dänemark ist ein weiteres Land, auf dessen umfassende Datensätze Forscher stets blickten, wenn sie wissen wollten, was etwa bei Virusvarianten bevorsteht: Im Kampf gegen die Pandemie hatte Deutschlands nördlichster Nachbar so viel getestet wie kaum ein anderes Land. Seit Anfang Februar praktisch alle Beschränkungen aufgehoben wurden und Covid-19 nicht mehr als gesellschaftskritische Krankheit betrachtet wird, wurden die Testkapazitäten dort jedoch massiv zurückgefahren: Noch Anfang 2022 wurden – bei rund sechs Millionen Einwohnern – wöchentlich 1,3 bis 1,6 Millionen PCR-Tests gemacht, in der vergangenen Woche waren es noch etwas über 100 000. Die dänische Gesundheitsverwaltung rät, sich nur testen zu lassen, wenn ein besonderer gesundheitlicher Grund vorliegt.
„Gesundheitspolitische Entscheidungen verlangen fundierte, belastbare Zahlen“, sagt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch mit Blick auf die Situation in Deutschland. „Aber zur Wahrheit gehört, dass die Corona-Maßnahmen oft nicht auf Wissenschaft fußen, sondern immer mehr politisch, ideologisch motiviert sind.“Bund und Länder hätten auch nach mehr als zwei Jahren kein effizientes Corona-Monitoring zustande gebracht. Für Krankenhäuser fehlten weiterhin verlässliche und aktuelle Daten. Dabei brauche man solche Informationen.
Epidemiologe Zeeb macht aber auch deutlich, dass man nun durchaus kritisch überlegen könne, welche Daten man weiterhin sehr zeitnah brauche – dazu dürften aus seiner Sicht etwa die zu Krankenhauseinweisungen und Intensivbelegung zählen. Er weist aber auch darauf hin, dass man nicht auf Jahre ein gleich hohes Testniveau aufrechterhalten könne.