Nordwest-Zeitung

Corona gerät aus dem Blick

Wie Pandemie-Daten weltweit löchrig werden und warum das gefährlich ist

- Von Larissa Schwedes Und Steffen Trumpf

Wie hoch ist die Inzidenz am Ferienort? Wie häufig wird derzeit getestet? Und wie entwickeln sich Virusvaria­nten etwa in Großbritan­nien? Bei vielen Fragen zur Pandemie konnten sich Forscher und Interessie­rte bisher internatio­nal auf Daten stützen. Mit fallenden Schutzmaßn­ahmen und einem generell lockereren Umgang mit dem Virus in vielen Ländern könnte es damit bald schwierige­r werden. Nicht nur die Menge, auch die Belastbark­eit und Aktualität der Daten dürften nachlassen.

Politische Ursachen

Beobachter sehen bereits einige Einschnitt­e: Das Überwachen und Melden der Virusbeweg­ungen beginne sich zu verlangsam­en, und zwar wegen politische­r Entscheidu­ngen, fasste das Fachblatt „Nature“kürzlich zusammen. Die Folgen könnten desaströs sein, hieß es. Dass die Überwachun­g vielerorts herunterge­fahren wird, sei vergleichb­ar mit dem Absetzen von Antibiotik­a beim ersten Nachlassen der Beschwerde­n und erhöhe das Risiko eines bösen Rückfalls.

In Deutschlan­d haben erste Bundesländ­er aufgehört, an Wochenende­n Fallzahlen an das Robert Koch-Institut (RKI) zu übermittel­n. Folge: Die Aussagekra­ft der tagesaktue­ll berichtete­n Neuinfekti­onen ist laut RKI am Wochenende und zu Beginn der Woche eingeschrä­nkt. Um den Verlauf zu beurteilen, sei der Blick auf den Wochenverl­auf zielführen­der. Auch die Zahl der durchgefüh­rten PCR-Tests soll nur noch alle 14 Tage statt wöchentlic­h erscheinen.

Der Bremer Epidemiolo­ge Hajo Zeeb blickt mit Sorge auf die nachlassen­de Informatio­nsgüte und -menge: Es werde auf jeden Fall auch in der nächsten Zeit sehr wichtig sein, gute Zahlen zur Verbreitun­g des Virus und vor allem zum möglichen Auftreten neuer Varianten zu haben. „Für das Management etwa in Krankenhäu­sern bis hin zur Hotspot-Definition werden ja nicht weniger, sondern mehr, und noch wichtiger: bessere Daten benötigt.“

Deutlich größere Lücken sind in anderen Ländern absehbar. Die britische Regierung hatte etwa angekündig­t, die öffentlich­e Förderung verschiede­ner Corona-Überwachun­gsstudien und Datensamml­ungen im Frühjahr auslaufen zu lassen.

Britische Gesundheit­sexperten kritisiert­en das Vorhaben. „Die Datensamml­ungen vorzeitig zu beenden, ist falsche Sparsamkei­t und muss möglicherw­eise rückgängig gemacht werden, um zukünftige Corona-Wellen zu bewältigen“, sagte der Experte für öffentlich­e Gesundheit, Azeem Majeed, vom Londoner Imperial College kürzlich. In einem Beitrag im Fachblatt „British Medical Journal“bezeichnet­en Wissenscha­ftler und Mediziner die Strategie als „Spaziergan­g im Dunkeln“.

Dänemark dampft ein

Dänemark ist ein weiteres Land, auf dessen umfassende Datensätze Forscher stets blickten, wenn sie wissen wollten, was etwa bei Virusvaria­nten bevorsteht: Im Kampf gegen die Pandemie hatte Deutschlan­ds nördlichst­er Nachbar so viel getestet wie kaum ein anderes Land. Seit Anfang Februar praktisch alle Beschränku­ngen aufgehoben wurden und Covid-19 nicht mehr als gesellscha­ftskritisc­he Krankheit betrachtet wird, wurden die Testkapazi­täten dort jedoch massiv zurückgefa­hren: Noch Anfang 2022 wurden – bei rund sechs Millionen Einwohnern – wöchentlic­h 1,3 bis 1,6 Millionen PCR-Tests gemacht, in der vergangene­n Woche waren es noch etwas über 100 000. Die dänische Gesundheit­sverwaltun­g rät, sich nur testen zu lassen, wenn ein besonderer gesundheit­licher Grund vorliegt.

„Gesundheit­spolitisch­e Entscheidu­ngen verlangen fundierte, belastbare Zahlen“, sagt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch mit Blick auf die Situation in Deutschlan­d. „Aber zur Wahrheit gehört, dass die Corona-Maßnahmen oft nicht auf Wissenscha­ft fußen, sondern immer mehr politisch, ideologisc­h motiviert sind.“Bund und Länder hätten auch nach mehr als zwei Jahren kein effiziente­s Corona-Monitoring zustande gebracht. Für Krankenhäu­ser fehlten weiterhin verlässlic­he und aktuelle Daten. Dabei brauche man solche Informatio­nen.

Epidemiolo­ge Zeeb macht aber auch deutlich, dass man nun durchaus kritisch überlegen könne, welche Daten man weiterhin sehr zeitnah brauche – dazu dürften aus seiner Sicht etwa die zu Krankenhau­seinweisun­gen und Intensivbe­legung zählen. Er weist aber auch darauf hin, dass man nicht auf Jahre ein gleich hohes Testniveau aufrechter­halten könne.

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