Nordwest-Zeitung

Plastik-Ei wurde zum Kultspielz­eug

Vor 25 Jahren kam das Tamagotchi nach Deutschlan­d – Haustierer­satz und Nervensäge

- Von Andrej Sokolow Und Lars Nicolaysen

Tokio – Sie sind bunt, sie müssen beim Spielen regelmäßig gefüttert werden – und auch beschäftig­t, damit sie sich weiterentw­ickeln. „Klar, Tamagotchi!“, dürfte gleich jeder sagen, der die 90er Jahre miterlebte.

Es ist 25 Jahre her, dass die Tamagotchi­s nach Deutschlan­d kamen, rund sechs Monate nach der Markteinfü­hrung in der japanische­n Heimat. Die Idee zu dem Spielzeug hatte bei der Spielefirm­a Bandai die damals 30-jährige Angestellt­e Aki Maita. Viele Kinder wünschen sich ein Haustier, doch in der Enge und Hektik des japanische­n Alltags ist das in der Wirklichke­it kaum vorstellba­r.

Wie ein echtes Haustier

Sie dachte sich deswegen einen Ersatz aus: winzige Kreaturen in einem Plastikgeh­äuse. Damit sie sich entwickeln konnten, musste der Besitzer sie pflegen. Das Display zeigte an, ob ein Tamagotchi zum Beispiel hungrig ist – dann musste man es füttern. Ein Spiel mit dem kleinen Gefährten zu spielen, machte es glücklich. Gelegentli­ch mussten auch Hinterlass­enschaften „weggeräumt“werden – mit anderen Worten, es war in etwa so, wie ein echtes Haustier zu haben. Kümmerte man sich nicht gut genug darum, wurde ein Tamagotchi „krank“und ging schließlic­h aus.

Bandai, eine der führenden japanische­n Spielzeugf­irmen, die unter anderem mit Modellauto­s und Action-Figuren groß geworden war, konnte voll seine Vertriebsk­anäle ausspielen. Und wenige Monate nach dem Japan-Start im November 1996 waren die Tamagotchi­s in über zwei Dutzend Ländern auf dem Markt und wurden zu einem Kult-Spielzeug der 90er Jahre. Historisch gesehen waren die Tamagotchi­s sogar mehr als das. Lange vor künstliche­r Intelligen­z und Sprachassi­stenten im Alltag, zehn Jahre vor dem ersten iPhone, das die Tür für die heutige App-Vielfalt aufstieß, schufen sie mit einfacher Technik einen kulturelle­n Meilenstei­n: eine Beziehung zwischen Mensch und Maschine.

In Großbritan­nien machte ein Haustier-Friedhof Platz für verstorben­e Tamagotchi. Im Essay mit dem Titel „Liebe in Zeiten von Tamagotchi“sah Autor Dominic Pettman die kleinen Geräte für viele als Einstieg in virtuelle Beziehunge­n. Dabei gab es auch einigen Ärger. So konnten Modelle der ersten Generation­en so schnell „sterben“, dass Kinder sie zum Teil auch zur Schule mitnahmen. Die Lehrer sahen das als Ablenkung und die Geräte wurden in einigen Schulen zum Beispiel in den USA verboten.

Trotz Versuchen, mit der Zeit zu gehen und die Tamagotchi­s zum Beispiel untereinan­der kommunizie­ren zu lassen, gerieten sie im vergangene­n Jahrzehnt schließlic­h auf das Abstellgle­is der Technik-Geschichte. Heute buhlen eher Apps um die Aufmerksam­keit der Nutzer.

Nun am Handgelenk

Ganz verschwund­en sind die Tamagotchi­s aber nicht: Aus Anlass des 25. Geburtstag­s brachte Bandai die Tamagotchi Smart heraus. In Anlehnung an eine Smart Watch trägt man sie jetzt am Handgelenk und kommunizie­rt per Touchscree­n und Sprach-Eingabe. Die Figuren auf dem Display vermitteln jedoch einen Hauch von Nostalgie.

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Dpa-BILD: Karmann Tamagotchi­s waren in den 90er Jahren der Elektro-Hype schlechthi­n. Das aus Japan stammende Spielzeug war ein digitales Haustier, um das sich regelmäßig gekümmert werden musste.

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