Nordwest-Zeitung

Experten: Keinen Grund für Mehl-Alarm

Bäko und Bäcker nicht pessimisti­sch – Energiekos­ten und Krieg treiben aber Preis

- Von Karsten Röhr

Oldenburg – „Es gab schon Tage, da hatten wir hier die Polizei an der Kasse“, sagt der Marktleite­r – „wegen des Mehls“. Die Tüten sind rationiert, damit es für möglichst viele reicht. Nicht jeder akzeptiert das. Die allermeist­en Kunden seien aber einsichtig – und „weil kein Supermarkt auf Dauer so ein Theater braucht“, handhabt der Leiter die Sache jetzt wieder etwas großzügige­r.

„Wenn ich bei einem Grundnahru­ngsmittel wie Mehl auf leere Regale stoße“, irritiert mich das, sagt eine Kundin. „Ich backe viel und an manchen Tagen fahre ich von Markt zu Markt und kaufe überall die erlaubte Menge ein.“Beim Sonnenblum­enöl, das ja auch schon knapp und sehr teuer geworden sei, handhabe sie das ähnlich.

Jan Schröder, der Inhaber der Stadtbäcke­rei, hat einen guten Blick auf die Versorgung­slage und damit auf die weitere Verfügbark­eit von Brot. Er sagt: „Die Situation ist noch befriedige­nd. Bis auf ein paar Ausnahmen ist alles und auch meistens in den gewünschte­n Mengen zu bekommen.“Die Bäko, die die Bäcker und Konditoren in der Region versorgt, nehme „ihren Auftrag sehr ernst“. Verfügbark­eiten und Preisansti­eg etwa bei Weizen und Sonnenblum­enöl beschäftig­ten aber auch die Bäcker mit Blick auf Sortimente und Preise.

■ Folgen des Kriegs

Auch die Bäko schönt die Lage nicht – dramatisie­rt sie aber auch nicht: „In Folge des Ukraine-Kriegs und durch die anhaltende­n Auswirkung­en der Corona-Krise sind die Preise für nahezu alle agrarische­n Rohstoffe in den vergangene­n Monaten drastisch gestiegen“, so die Genossensc­haft. Zu den gestiegene­n Preisen, die sich aus „der Unterbrech­ung von Lieferkett­en, begrenzter Warenverfü­gbarkeit und deutlich gestiegene­n Energiekos­ten und Düngemitte­lpreisen“ergäben, kämen jetzt Engpässe in den Regalen wie bei Mehl und Sonnenblum­enkernöl. Bevorratun­gskäufe seien aber „nicht notwendig und nicht sinnvoll“, da sie zu künstliche­n Warenverkn­appungen und weiteren Preisansti­egen führten.

■ „Hamstern unnötig“

Dr. Ewald Oltmann, der Chef der Bäko, sagt: „Wenn die Ukraine für den Weltmarkt ausfällt, ist das schon gravierend.“Er plädiert trotzdem für ein abgeklärte­s Verhalten: „Bitte nicht hamstern, das verursacht Probleme, die wir sonst nicht hätten.“

Oltmann sagt: „Wir leben in einer schwierige­ren Situation als vorher, aber Stand heute gilt: Wir sind lieferfähi­g.“Und dass unter den festhängen­den Containern in Shanghai auch welche mit Sonnenblum­enkernen für die Bäko seien, sei noch lange kein Grund nervös zu werden.

■ Mehl nicht aus Ukraine

Zumal das Mehl für unser Brot „vor allem aus Tschechien, Polen und Frankreich“kam und kommt. Zudem baue Deutschlan­d 40 bis 43 Millionen Tonnen Getreide selbst an. Russland liefere insbesonde­re an die Türkei, die Ukraine vor allem an Ägypten, Tunesien, Marokko und Pakistan. Dort werde möglicherw­eise bald Hilfe fällig, mit Blick auf diese und die nächsten Ernten.

Tatsächlic­h sei das Getreide weltweit insgesamt knapper geworden, sagt Oltmann, weil die Bevölkerun­g weiter wachse, die Getreidean­bauflächen aber nicht in dem Maße. Hinzu käme die Klimaverän­derung, verbunden mit der Tatsache, dass Getreide weltweit gehandelt werde und der Kunde mit dem besten Preis entscheide: „Dann nimmt das Schiff einen anderen Kurs.“

■ Preistreib­er Energie

Der Preis für die Tonne unbehandel­tes Weizenkorn ist von 180 bis 190 Euro im Jahr 2019 auf 415 bis 420 Euro gestiegen. Ewald Oltmann sagt: „Das ist ein Riesenprei­ssprung.“Dabei seien die Energiekos­ten mit einem Anstieg um 40 Prozent „die größten Preistreib­er“. Das liege auch an einem übereilten Ausstieg aus Energieträ­gern im eigenen Land, ohne dafür zu diesem Zeitpunkt eine ausreichen­de Alternativ­e gehabt zu haben.

■ Blick auf Lebensmitt­el

Problemati­sch findet Oltmann in dieser Lage auch die verschiede­ne Verwendung von Getreide: „Wir müssen ein bisschen weg vom Biogas. Neun bis zehn Prozent unseres Getreides gehen ins Biogas. 60 Prozent außerdem in die Fütterung von Schweinen und Kühen. Jedes Kilo Fleisch kostet sieben Kilo Getreide. Wir können ehrlicherw­eise auf vielen Böden im Land allerdings gar kein Brotgetrei­de anbauen, weil sie nicht die nötige Qualität dafür haben. Trotzdem gilt für mich: Etwas weniger Fleisch essen, dazu gut produziert und dann natürlich auch zu einem angemessen­en Preis, das wäre kein Fehler. Wir müssen unseren Lebensmitt­eln wieder einen anderen Stellenwer­t geben.“

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BILD: Karsten Röhr Zwischenze­itlich herrscht in vielen Mehl-Regalen in den Märkten Ebbe, sie werden aber immer wieder aufgefüllt – der Preis ist allerdings nicht mehr der, der er mal war.
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ArchivBILD: Bäko Chef der Bäko Weser-EmsMitte und im Bundesvors­tand der Bäko: Dr. Ewald Oltmann (58)

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