Experten: Keinen Grund für Mehl-Alarm
Bäko und Bäcker nicht pessimistisch – Energiekosten und Krieg treiben aber Preis
Oldenburg – „Es gab schon Tage, da hatten wir hier die Polizei an der Kasse“, sagt der Marktleiter – „wegen des Mehls“. Die Tüten sind rationiert, damit es für möglichst viele reicht. Nicht jeder akzeptiert das. Die allermeisten Kunden seien aber einsichtig – und „weil kein Supermarkt auf Dauer so ein Theater braucht“, handhabt der Leiter die Sache jetzt wieder etwas großzügiger.
„Wenn ich bei einem Grundnahrungsmittel wie Mehl auf leere Regale stoße“, irritiert mich das, sagt eine Kundin. „Ich backe viel und an manchen Tagen fahre ich von Markt zu Markt und kaufe überall die erlaubte Menge ein.“Beim Sonnenblumenöl, das ja auch schon knapp und sehr teuer geworden sei, handhabe sie das ähnlich.
Jan Schröder, der Inhaber der Stadtbäckerei, hat einen guten Blick auf die Versorgungslage und damit auf die weitere Verfügbarkeit von Brot. Er sagt: „Die Situation ist noch befriedigend. Bis auf ein paar Ausnahmen ist alles und auch meistens in den gewünschten Mengen zu bekommen.“Die Bäko, die die Bäcker und Konditoren in der Region versorgt, nehme „ihren Auftrag sehr ernst“. Verfügbarkeiten und Preisanstieg etwa bei Weizen und Sonnenblumenöl beschäftigten aber auch die Bäcker mit Blick auf Sortimente und Preise.
■ Folgen des Kriegs
Auch die Bäko schönt die Lage nicht – dramatisiert sie aber auch nicht: „In Folge des Ukraine-Kriegs und durch die anhaltenden Auswirkungen der Corona-Krise sind die Preise für nahezu alle agrarischen Rohstoffe in den vergangenen Monaten drastisch gestiegen“, so die Genossenschaft. Zu den gestiegenen Preisen, die sich aus „der Unterbrechung von Lieferketten, begrenzter Warenverfügbarkeit und deutlich gestiegenen Energiekosten und Düngemittelpreisen“ergäben, kämen jetzt Engpässe in den Regalen wie bei Mehl und Sonnenblumenkernöl. Bevorratungskäufe seien aber „nicht notwendig und nicht sinnvoll“, da sie zu künstlichen Warenverknappungen und weiteren Preisanstiegen führten.
■ „Hamstern unnötig“
Dr. Ewald Oltmann, der Chef der Bäko, sagt: „Wenn die Ukraine für den Weltmarkt ausfällt, ist das schon gravierend.“Er plädiert trotzdem für ein abgeklärtes Verhalten: „Bitte nicht hamstern, das verursacht Probleme, die wir sonst nicht hätten.“
Oltmann sagt: „Wir leben in einer schwierigeren Situation als vorher, aber Stand heute gilt: Wir sind lieferfähig.“Und dass unter den festhängenden Containern in Shanghai auch welche mit Sonnenblumenkernen für die Bäko seien, sei noch lange kein Grund nervös zu werden.
■ Mehl nicht aus Ukraine
Zumal das Mehl für unser Brot „vor allem aus Tschechien, Polen und Frankreich“kam und kommt. Zudem baue Deutschland 40 bis 43 Millionen Tonnen Getreide selbst an. Russland liefere insbesondere an die Türkei, die Ukraine vor allem an Ägypten, Tunesien, Marokko und Pakistan. Dort werde möglicherweise bald Hilfe fällig, mit Blick auf diese und die nächsten Ernten.
Tatsächlich sei das Getreide weltweit insgesamt knapper geworden, sagt Oltmann, weil die Bevölkerung weiter wachse, die Getreideanbauflächen aber nicht in dem Maße. Hinzu käme die Klimaveränderung, verbunden mit der Tatsache, dass Getreide weltweit gehandelt werde und der Kunde mit dem besten Preis entscheide: „Dann nimmt das Schiff einen anderen Kurs.“
■ Preistreiber Energie
Der Preis für die Tonne unbehandeltes Weizenkorn ist von 180 bis 190 Euro im Jahr 2019 auf 415 bis 420 Euro gestiegen. Ewald Oltmann sagt: „Das ist ein Riesenpreissprung.“Dabei seien die Energiekosten mit einem Anstieg um 40 Prozent „die größten Preistreiber“. Das liege auch an einem übereilten Ausstieg aus Energieträgern im eigenen Land, ohne dafür zu diesem Zeitpunkt eine ausreichende Alternative gehabt zu haben.
■ Blick auf Lebensmittel
Problematisch findet Oltmann in dieser Lage auch die verschiedene Verwendung von Getreide: „Wir müssen ein bisschen weg vom Biogas. Neun bis zehn Prozent unseres Getreides gehen ins Biogas. 60 Prozent außerdem in die Fütterung von Schweinen und Kühen. Jedes Kilo Fleisch kostet sieben Kilo Getreide. Wir können ehrlicherweise auf vielen Böden im Land allerdings gar kein Brotgetreide anbauen, weil sie nicht die nötige Qualität dafür haben. Trotzdem gilt für mich: Etwas weniger Fleisch essen, dazu gut produziert und dann natürlich auch zu einem angemessenen Preis, das wäre kein Fehler. Wir müssen unseren Lebensmitteln wieder einen anderen Stellenwert geben.“