Sie ist seit der „Nagelei“allein auf der Walz
Tischlergesellin Jade Brumby aus Varel berichtet von ihrer Wanderschaft – Alle Facetten des Berufes erleben
Die erste Woche sind wir zu Fuß aus meiner Bannmeile herausgelaufen. Täglich 10 bis 15 Kilometer. Unser Weg hat uns über Grabstede, Westerstede und Bad Zwischenahn zu den Ahlhorner Fischteichen geführt. Dort habe ich meine Bannmeile überschritten und mein Wanderbuch erhalten. In Ahlhorn werde ich, wenn ich so weit bin, meine Bannmeile auch wieder betreten.
Die erste Woche war körperlich recht anstrengend. Das Gepäck wird, wenn es den ganzen Tag getragen wird, sehr schwer und sitzt ungewohnt und ungemütlich auf der Schulter. Auch die Füße sind nicht verschont geblieben, trotz gut eingelaufener Schuhe hatte ich mir nach drei Tagen Blasen gelaufen.
Übernachtet haben wir in dieser Woche direkt zweimal draußen. Das erste Mal haben wir bei einem Spielplatz einen überdachten Grillplatz gefunden, wo wir uns auf die Bänke gelegt haben, und die zweite Nacht draußen haben wir in einem alten Schafstall gelegen.
Spruch lernen
Meine Arbeitskluft habe ich das erste Mal auf Rügen ausgepackt. Dort haben wir Mitte Januar für einen Wandergesellentreffpunkt Feuerholz geschlagen. Anschließend sind wir einfach für acht Wochen herumgereist. Moritz frd. fr. Maurer hat mir beigebracht, wo ich mich zum Trampen am besten hinstelle, wie ich den besten Weg von A nach B finde und wie ich abends in jedem neuen Ort einen Schlafplatz finde. So sind wir von Rügen über Hamburg, Lübeck und Leipzig nach Hof getrampt. Von Hof aus sind wir durchs Fichtelgebirge gereist. Dort sind wir von Stadt zu Stadt getrampt.
Bei den Bürgermeistern haben wir zünftig mit dem traditionellen
Autorin dieses Textes ist Jade Juliane Brumby.
Die 23-jährige Tischlergesellin aus Varel (Landkreis Friesland) befindet sich seit Dezember des vergangenen Jahres auf der Walz und berichtet darüber für unsere Zeitung.
Handwerksgruß vorgesprochen, damit ich ihn verinnerlichen konnte. Der Handwerksgruß ist ein Spruch, den jeder Wandergeselle zu Beginn seiner Reise auswendig lernen muss.
Anfang März haben wir mit der Arbeitssuche für mich begonnen. Bei Altötting haben wir unsere Suche angefangen, aber die Betriebe hatten nicht die Möglichkeit mich einzustellen. Da wir nach einer Woche noch keinen Arbeitsplatz gefunden hatten, sind wir ins Allgäu gereist. In der Nähe von Kempten waren wir nach zwei Tagen erfolgreich und haben eine Schreinerei gefunden, die Arbeit für mich hatte. Untergekommen bin ich beim Meister und seiner Familie.
Nach einer Woche Arbeiten waren die ersten drei Monate und damit die Kontaktsperre rum und ich habe mich zum ersten Mal wieder bei meinen Eltern gemeldet und erzählen können, was ich alles erlebt habe und im Gegensatz habe ich erfahren, was ich alles in Varel verpasst habe.
In der Schreinerei wurde noch viel aus Vollholz gebaut und als eine der ersten Aufgaben dürfte ich Regalbretter aus Esche mit belassener Waldkante bauen. Weitere Arbeiten waren eine Deckenverkleidung, Bodenverlegen und für den Garten des Meisters habe ich einen neuen Zaun gebaut.
Nach vier Wochen war die schöne Zeit dort vorbei und Moritz frd. fr. Maurer hat mich wieder abgeholt. Er hat mich auf meine Aufgabenwoche geschickt. Diese Woche macht jeder am Ende seiner Jungreisenden-Zeit. In der Woche sollten die Jungreisenden bei den Rathäusern traditionell für die Städtesiegel vorsprechen und ein Gefühl dafür bekommen, wie es ist, allein zu reisen.
Ohrloch genagelt
Kurz nach der Aufgabenwoche steht die Nagelei an. Eine Zeremonie, mit der die Reisezeit mit dem Exportgesellen beendet wird. Die Nagelei ist ein altes Ritual, bei dem dem Jungreisenden von seinem Exportgesellen ein Ohrloch genagelt wird. Das ist wörtlich zu nehmen: Das Ohrläppchen wird mit einem speziellen Nagel an einen Tisch, eine Türzarge oder – wie in meinem Fall – einen Holzpfeiler genagelt. Der Junggeselle bleibt so lange festgenagelt, bis die anwesenden Wandergesellen mit der Ablöse einverstanden sind. Der Kopf wurde dabei von einem Wandergesellen festgehalten, damit ich mir selber nicht weh tue, wenn ich ungewollt wegzucke. Dieser Geselle wird Kopfgeselle genannt.
Diese Ablösen sind Tätigkeiten, die zum Wohl aller Wandergesellen beitragen, wie etwas an den Treffpunkten reparieren oder neu bauen oder Aufklärungsarbeit verrichten. Wenn die Wandergesellen mit dem Versprechen einverstanden sind, wird noch der Eid abgelegt, dass man die drei Jahre und einen Tag Mindest-Reisezeit zünftig und nach den gelernten Regeln reist. Erst dann wird der Jungreisende vom Nagel befreit und bekommt seinen Ohrring.
Früher haben die Wandergesellen einen Ohrring (aus Gold) getragen, damit, wenn ihnen auf der Straße etwas zustößt, ihr Begräbnis damit gezahlt werden konnte. Das Ritual ist geblieben, auch wenn der Wert eines Ohrrings für diese Angelegenheit nicht mehr ausreicht. Zudem gab es früher den Brauch, einem Gesellen, der sich eines Verbrechen schuldig gemacht hat und als kein ehrlicher Mensch zählt, den Ohrring auszureißen und ihn für alle erkenntlich zum Schlitzohr macht. Meine Nagelei war während der Ostertage und seither bin ich allein unterwegs.
Oft angesprochen
Mein erstes Ziel, welches ich allein entscheiden konnte, war meine Eltern im Harz zu besuchen. Von dort werde ich nach Rügen aufbrechen. Auf der Straße wird man oft angesprochen, die Kluft wird ja schnell erkannt, auch schon von Weitem. Auf das Reisen allein und im Freien Schlafen hat man sich eingelassen, bevor man losgeht und ich fühle mich mit meiner Entscheidung, auf die Walz zu gehen, immer noch sehr wohl.