Schwiegersohn und Hausfrau
Am Abend des Wahlsonntags neulich zwischen den Meeren lachte die milde Abendsonne über der Kieler Förde. Viel zu lachen hatte auch Daniel Günther, der Ministerpräsident, der als strahlender Sieger aus dem Urnengang hervorgegangen ist. Über 43 Prozent hat Günther für seine CDU eingefahren. So viel hatten die Christdemokraten nördlich der Elbe zuletzt am 13. September 1987 geholt.
Damals hatte die Barschel-Affäre die Landtagswahl überschattet. Nur einen Tag zuvor hatte das Nachrichtenmagazin „Spiegel“die Bombe platzen lassen und enthüllt, dass Barschel über die Staatskanzlei eine Schmierenkampagne gegen seinen Gegner Björn Engholm angezettelt hatte. Engholms SPD hatte schon in der September-Wahl die CDU überrundet. Einen knappen Monat später fand man Barschel tot in der Badewanne eines Genfer Hotels, am 8. Mai 1988 errangen die Sozialdemokraten mit 54,8 Prozent einen fulminanten Wahlsieg.
Davon sind sie auf den Tag genau 34 Jahre später unendlich weit entfernt. Weniger als 16 Prozent der Schleswig-Holsteiner trauten der SPD und ihrem Spitzenkandidaten Thomas Losse-Müller zu, das Land in eine rosige Zukunft zu führen. Das ist ein Minus von zwölf ProzentPunkten gegenüber dem Ergebnis vor fünf Jahren und liegt immer noch zehn Punkte unter den historisch mageren 25,4 Prozent, die Ralf Stegner 2009 für die Sozis geholt hatte.
Die von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen per Umfrage erhobenen Indikatoren sind alarmierend für die Genossen: In sämtlichen Altersgruppen erhielten sie zwischen 13 und 14 Prozent, nur bei den über 60-jährigen waren es 20. Selbst bei ihrer Stammklientel, den Arbeitern, blieb die alte Tante SPD sichtbar unter 20 Prozent.
Dabei hatte es vor wenigen Wochen, am Abend des 27. März, noch jubelnde Mienen im Willy-Brandt-Haus gegeben. Mit 43,5 Prozent hatte Anke Rehlinger die SPD aus der Juniorpartnerschaft mit der CDU zur absoluten Mehrheit geführt.
Die Zahlen der Mannheimer verraten, was den Unterschied ausmacht: Während sich bei einer Direktwahl an der Saar 56 Prozent die Sozialdemokratin Rehlinger als Ministerpräsidentin gewünscht hatten, waren auf den Amtsinhaber Tobias Hans magere 32 Prozent entfallen. Rehlinger konnte als die sympathischere, glaubwürdigere, kompetentere und vor allem „saarländischere“Kandidatin punkten und entschied das Rennen für sich.
Jetzt, in Schleswig-Holstein, lag Daniel Günther in sämtlichen Kategorien uneinholbar in Führung. 85 Prozent bescheinigten ihm, er habe seine Sache als Ministerpräsident „eher gut“gemacht. Selbst von den Wählern der oppositionellen SPD sagten das 80 Prozent. Und während sich nur acht Prozent für Losse-Müller aussprachen und neun Prozent für die grüne Spitzenkandidatin Monika Heinold, sagten satte 61 Prozent, sie wollten Günther auch künftig auf dem Sessel des Ministerpräsidenten sehen.
Früher entschieden langfristige Bindungen darüber, wer wen wählte. In Bayern konnte die CSU den sprichwörtlichen Besenstiel als Kandidaten aufstellen, er wurde gewählt. In Bremen galt das umgekehrt für jeden Genossen, der dort Bürgermeister werden wollte. Parteien waren in gesellschaftlichen Organisationen wie den Kirchen und Gewerkschaften verankert. Ihre Milieus waren sozial, ökonomisch und kulturell regelrecht einbetoniert. Die Volksparteien, die Anhängerschaften aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu binden verstanden, erreichten in der Summe leicht 90 oder mehr Prozent des Elektorats.
Die Milieus sind seit Jahrzehnten in Auflösung begriffen und haben ihre Bindung an bestimmte Parteien gekappt. Der Wählermarkt ist hochmobil geworden. Lange dachte man, der rationale Wähler, der ausschließlich nach eigenen Interessen entscheidet, sei auf dem Vormarsch. Richtig daran ist, dass Erfolg oder Misserfolg von Parteien viel mehr als früher davon abhängt, ob ihnen in wichtigen Politikbereichen Kompetenzen zugeschrieben werden.
Doch wie misst man Kompetenz? Allemal leichter, als die Erfolge und Misserfolge von Regierung und Opposition penibel gegeneinander abzuwägen, ist ein prüfender Blick auf den Spitzenkandidaten: Flößt er Vertrauen ein? Strahlt er die Fähigkeit zu führen aus? Passt er zum Land? Und vor allem: Wirkt er sympathisch? Der Spitzenkandidat wird sozusagen zum Platzhalter für die vielen, unendlich komplexen Variablen, aus denen Politik besteht. Er reduziert die Qual der Wahl auf ein gerade noch erträgliches Minimum.
Rehlinger und Günther haben deshalb vorgemacht, wie man heutzutage Wahlen gewinnt. Keinem von beiden wird man sonderliches Charisma nachsagen. Aber Charisma, lehrt Max Weber, liegt im Auge des Betrachters.
Der Charismagläubige sieht im Charismaträger eine „außeralltägliche Gnadengabe“. Das klingt heute geradezu pathetisch. In der mediendemokratischen Schwundstufe des Charisma genügt es vollauf, wenn man, wie Rehlinger, den Charme einer biederen Hausfrau versprüht oder, wie Günther, den eines braven Schwiegersohns.
Das ist auch gut so. Denn der Glaube an die Gnadengabe von Hausfrauen und Schwiegersöhnen bewahrt uns womöglich vor Schlimmerem: vor den Trumps und Putins dieser Welt.