Nordwest-Zeitung

Schwiegers­ohn und Hausfrau

- Michael Sommer über deutsche Wahlen und das Charisma des einzelnen Politikers

Am Abend des Wahlsonnta­gs neulich zwischen den Meeren lachte die milde Abendsonne über der Kieler Förde. Viel zu lachen hatte auch Daniel Günther, der Ministerpr­äsident, der als strahlende­r Sieger aus dem Urnengang hervorgega­ngen ist. Über 43 Prozent hat Günther für seine CDU eingefahre­n. So viel hatten die Christdemo­kraten nördlich der Elbe zuletzt am 13. September 1987 geholt.

Damals hatte die Barschel-Affäre die Landtagswa­hl überschatt­et. Nur einen Tag zuvor hatte das Nachrichte­nmagazin „Spiegel“die Bombe platzen lassen und enthüllt, dass Barschel über die Staatskanz­lei eine Schmierenk­ampagne gegen seinen Gegner Björn Engholm angezettel­t hatte. Engholms SPD hatte schon in der September-Wahl die CDU überrundet. Einen knappen Monat später fand man Barschel tot in der Badewanne eines Genfer Hotels, am 8. Mai 1988 errangen die Sozialdemo­kraten mit 54,8 Prozent einen fulminante­n Wahlsieg.

Davon sind sie auf den Tag genau 34 Jahre später unendlich weit entfernt. Weniger als 16 Prozent der Schleswig-Holsteiner trauten der SPD und ihrem Spitzenkan­didaten Thomas Losse-Müller zu, das Land in eine rosige Zukunft zu führen. Das ist ein Minus von zwölf ProzentPun­kten gegenüber dem Ergebnis vor fünf Jahren und liegt immer noch zehn Punkte unter den historisch mageren 25,4 Prozent, die Ralf Stegner 2009 für die Sozis geholt hatte.

Die von der Mannheimer Forschungs­gruppe Wahlen per Umfrage erhobenen Indikatore­n sind alarmieren­d für die Genossen: In sämtlichen Altersgrup­pen erhielten sie zwischen 13 und 14 Prozent, nur bei den über 60-jährigen waren es 20. Selbst bei ihrer Stammklien­tel, den Arbeitern, blieb die alte Tante SPD sichtbar unter 20 Prozent.

Dabei hatte es vor wenigen Wochen, am Abend des 27. März, noch jubelnde Mienen im Willy-Brandt-Haus gegeben. Mit 43,5 Prozent hatte Anke Rehlinger die SPD aus der Juniorpart­nerschaft mit der CDU zur absoluten Mehrheit geführt.

Die Zahlen der Mannheimer verraten, was den Unterschie­d ausmacht: Während sich bei einer Direktwahl an der Saar 56 Prozent die Sozialdemo­kratin Rehlinger als Ministerpr­äsidentin gewünscht hatten, waren auf den Amtsinhabe­r Tobias Hans magere 32 Prozent entfallen. Rehlinger konnte als die sympathisc­here, glaubwürdi­gere, kompetente­re und vor allem „saarländis­chere“Kandidatin punkten und entschied das Rennen für sich.

Jetzt, in Schleswig-Holstein, lag Daniel Günther in sämtlichen Kategorien uneinholba­r in Führung. 85 Prozent bescheinig­ten ihm, er habe seine Sache als Ministerpr­äsident „eher gut“gemacht. Selbst von den Wählern der opposition­ellen SPD sagten das 80 Prozent. Und während sich nur acht Prozent für Losse-Müller aussprache­n und neun Prozent für die grüne Spitzenkan­didatin Monika Heinold, sagten satte 61 Prozent, sie wollten Günther auch künftig auf dem Sessel des Ministerpr­äsidenten sehen.

Früher entschiede­n langfristi­ge Bindungen darüber, wer wen wählte. In Bayern konnte die CSU den sprichwört­lichen Besenstiel als Kandidaten aufstellen, er wurde gewählt. In Bremen galt das umgekehrt für jeden Genossen, der dort Bürgermeis­ter werden wollte. Parteien waren in gesellscha­ftlichen Organisati­onen wie den Kirchen und Gewerkscha­ften verankert. Ihre Milieus waren sozial, ökonomisch und kulturell regelrecht einbetonie­rt. Die Volksparte­ien, die Anhängersc­haften aus verschiede­nen gesellscha­ftlichen Gruppen zu binden verstanden, erreichten in der Summe leicht 90 oder mehr Prozent des Elektorats.

Die Milieus sind seit Jahrzehnte­n in Auflösung begriffen und haben ihre Bindung an bestimmte Parteien gekappt. Der Wählermark­t ist hochmobil geworden. Lange dachte man, der rationale Wähler, der ausschließ­lich nach eigenen Interessen entscheide­t, sei auf dem Vormarsch. Richtig daran ist, dass Erfolg oder Misserfolg von Parteien viel mehr als früher davon abhängt, ob ihnen in wichtigen Politikber­eichen Kompetenze­n zugeschrie­ben werden.

Doch wie misst man Kompetenz? Allemal leichter, als die Erfolge und Misserfolg­e von Regierung und Opposition penibel gegeneinan­der abzuwägen, ist ein prüfender Blick auf den Spitzenkan­didaten: Flößt er Vertrauen ein? Strahlt er die Fähigkeit zu führen aus? Passt er zum Land? Und vor allem: Wirkt er sympathisc­h? Der Spitzenkan­didat wird sozusagen zum Platzhalte­r für die vielen, unendlich komplexen Variablen, aus denen Politik besteht. Er reduziert die Qual der Wahl auf ein gerade noch erträglich­es Minimum.

Rehlinger und Günther haben deshalb vorgemacht, wie man heutzutage Wahlen gewinnt. Keinem von beiden wird man sonderlich­es Charisma nachsagen. Aber Charisma, lehrt Max Weber, liegt im Auge des Betrachter­s.

Der Charismagl­äubige sieht im Charismatr­äger eine „außeralltä­gliche Gnadengabe“. Das klingt heute geradezu pathetisch. In der mediendemo­kratischen Schwundstu­fe des Charisma genügt es vollauf, wenn man, wie Rehlinger, den Charme einer biederen Hausfrau versprüht oder, wie Günther, den eines braven Schwiegers­ohns.

Das ist auch gut so. Denn der Glaube an die Gnadengabe von Hausfrauen und Schwiegers­öhnen bewahrt uns womöglich vor Schlimmere­m: vor den Trumps und Putins dieser Welt.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany