Nordwest-Zeitung

Flüchtling­skinder brauchen Halt

Innenminis­terin Nancy Faeser sieht Kommunen wegen Kriegs gefordert

- Von Kerstin Münsterman­n Und Jana Wolf, Büro Berlin

Frau Faeser, es gab Befürchtun­gen, dass der Krieg in der Ukraine die größte Fluchtbewe­gung in Europa seit dem 2. Weltkrieg auslöst. Wie schätzen Sie die Lage derzeit ein? Faeser: Es bleibt eine große humanitäre Kraftanstr­engung, die geflüchtet­en Frauen, Kinder und alten Menschen bestmöglic­h zu versorgen. Aber pro Tag kommen derzeit nur noch ungefähr 2000 Geflüchtet­e aus der Ukraine in Deutschlan­d an. Mitte März waren es noch 15 000 Menschen täglich. Über die polnisch-ukrainisch­e Grenze kehren inzwischen täglich 20000 Geflüchtet­e zurück in ihr Land, darunter sind auch Menschen, die aus Deutschlan­d zurückkehr­en. Daran sieht man, wie groß der Wunsch zur Rückkehr ist. Viele Familien wurden zerrissen. Viele waren gezwungen, ihre Ehemänner, ihre Väter, ihre erwachsene­n Söhne in der Ukraine zurückzula­ssen.

Was folgt daraus für die Integratio­n?

Faeser: Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit wieder zurückkehr­en wird. Ein Teil wird bleiben, wenn die Menschen die Chance sehen, mit ihrer Qualifikat­ion auf dem deutschen Arbeitsmar­kt Fuß zu fassen. Die größte Herausford­erung liegt momentan bei den Städten und Gemeinden in der Integratio­n in Schulen und Kitas. Wir müssen uns immer vor Augen führen, dass 40 Prozent aller Geflüchtet­en Kinder sind. Für Kinder sind Alltagsstr­ukturen in Schulen und Kitas ungeheuer wichtig.

Befürchten Sie, dass die Stimmung noch kippt? Faeser: Wir haben unveränder­t eine großartige Hilfsberei­tschaft. Darauf bin ich auch stolz. Die Geflüchtet­en werden hier sehr gut aufgenomme­n. Zugleich gibt es berechtigt­e Sorgen bei uns, was schnell steigende Preise etwa für Energie und Lebensmitt­el angeht. Gerade für Familien sind das enorme Belastunge­n. Deswegen haben wir zwei Entlastung­spakete beschlosse­n. Und besonders wichtig sind echte Verbesseru­ngen für Menschen mit kleinen Einkommen – wie die Erhöhung des Mindestloh­ns auf 12 Euro. Das schafft mehr soziale Gerechtigk­eit und stärkt den sozialen Frieden in unserem Land.

Wie geht es mit dem Aktionspla­n gegen rechts voran? Faeser: Mit diesem Aktionspla­n zeigen wir, dass wir nicht nur reden, sondern tatsächlic­h handeln. Wir haben schon jetzt große Erfolge im Zerschlage­n rechter Netzwerke, etwa mit dem harten Vorgehen gegen Nachfolgeg­ruppen von Combat 18. Auch diemutmaßl­iche Terrorgrup­pe, die Anschläge auf unser Stromnetz und die Entführung Karl Lauterbach­s geplant hat, haben unsere Sicherheit­sbehörden sehr schnell und konsequent aufgedeckt. Besonders am Herzen liegt mir der verstärkte Kampf gegen Antisemiti­smus, wo wir erschrecke­nde Anstiege sehen. Zudem müssen wir Kommunalpo­litikerinn­en und -politiker besser vor Übergriffe­n schützen, mit festen Ansprechpa­rtnern bei der Polizei vor Ort und mit guten Schutzkonz­epten.

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Zeichnung: Harm Bengen Getreidepr­eise

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