Nordwest-Zeitung

Das Ende der Funkstille

Warum Kanzler Scholz und Präsident Putin jetzt wieder miteinande­r telefonier­en

- Von Michael Fischer, Hannah Wagner Und Carsten Hoffmann

Berlin/Moskau – Nach mehr als sechs Wochen Funkstille hat Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) wieder mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin gesprochen. In einem 75-minütigen Telefonat am Freitagvor­mittag forderte der SPD-Politiker einen schnellen Waffenstil­lstand im UkraineKri­eg, die Verbesseru­ng der humanitäre­n Lage im Kriegsgebi­et und Fortschrit­te bei der Suche nach einer diplomatis­chen Lösung des Konflikts, wie Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit mitteilte. Nach Angaben des Kremls kam das Gespräch auf deutsche Initiative zustande. Es sei vereinbart worden, die Diskussion „auf verschiede­nen Kanälen“fortzusetz­en.

Letztes Gespräch vor Butscha-Massaker

Scholz hatte nach Beginn des Krieges in der Ukraine mehrfach mit Putin telefonier­t, zuletzt am 30. März. Wenige Tage später wurde das Massaker im Kiewer Vorort Butscha bekannt. Danach gab es zunächst keinen Kontakt mehr. In einem vergangene Woche veröffentl­ichten „Stern“-Interview hatte Scholz gesagt: „Wenn es etwas zu bereden gibt, werde ich den Kontakt wieder aufnehmen. Unsere Priorität ist klar: Die Kriegshand­lungen müssen sofort beendet werden.“

Hebestreit begründete den jetzigen Vorstoß des Kanzlers mit den Worten: „Man muss natürlich an irgendeine­m Punkt dazu kommen, dass es auch wieder diplomatis­che Initiative­n geben muss.“Ziel sei es, „diesen furchtbare­n Krieg mit schrecklic­hen Zahlen von Opfern, viel Zerstörung und auch der ganzen Sinnlosigk­eit, die ein Krieg mit sich bringt, einem Ausweg zuzuführen“. Hebestreit betonte, dass das Telefonat mit Putin „im Nachgang“zu Scholz’ Gespräch mit dem ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch stattgefun­den hat.

Aus dem Kreml hieß es zu dem Gespräch, Putin habe „ausführlic­h“über Russlands Ziele in der Ukraine informiert. Ein Fokus habe auf humanitäre­n Aspekten gelegen. Putin habe Scholz zudem auf „grobe Verletzung­en der Normen des internatio­nalen Völkerrech­ts durch sich zur nazistisch­en Ideologie bekennende Kämpfer“hingewiese­n.

Russland begründet seinen am 24. Februar begonnenen Angriffskr­ieg gegen das Nachbarlan­d immer wieder mit einer angebliche­n „Entnazifiz­ierung“der Ukraine. Experten stufen das als reinen Vorwand

für Moskaus Aggression ein. Scholz wies in dem Telefonat die Nazi-Vorwürfe Putins gegen die Ukraine zurück.

Scholz wartete Putin-Rede ab

Scholz hatte das Telefonat bereits am Morgen im Verteidigu­ngsausschu­ss des Bundestags angekündig­t. Er soll dort darauf verwiesen haben, dass ein Gespräch vor dem 9. Mai noch keinen Sinn gemacht hätte. An diesem Tag hatte Putin seine mit Spannung erwartete Rede bei der

Militärpar­ade zum 77. Jahrestag des Sieges der Sowjetunio­n über Nazi-Deutschlan­d im Zweiten Weltkrieg gehalten. Sie fiel weitaus weniger scharf aus als erwartet. Es war befürchtet worden, Putin könnte die Generalmob­ilmachung ausrufen.

Video soll zeigen, wie russische Soldaten Unbewaffne­te erschießen:

Im Krieg in der Ukraine häufen sich die Hinweise auf russische Kriegsverb­rechen. In einem Video, das der US-Nachrichte­nsender CNN veröffentl­ichte, soll zu sehen sein, wie russische Soldaten zwei dem Augenschei­n nach unbewaffne­te Männer erschießen. Laut CNN entstanden die Aufnahmen am 16. März nahe Kiew. Zu sehen ist, dass zwei Soldaten den beiden Männern, die langsam über das Gelände gehen, in den Rücken schießen. Laut CNN handelte es sich bei den Opfern um Zivilisten.

London verhängt Sanktionen gegen Putins Ex-Frau und mutmaßlich­e Geliebte:

Die britische Regierung hat gezielte Sanktionen gegen die frühere Ehefrau des russischen Präsidente­n Wladimir Putin, Ljudmila Otscheretn­aja, seine mutmaßlich­e Geliebte Alina Kabajewa und weitere Verwandte sowie enge Verbündete verhängt. Den Angaben des Außenminis­teriums zufolge lässt sich Putin durch eine „Kabale von Freunden, Familie und Eliten“aushalten, während sein offizielle­s Vermögen bescheiden ist.

Erdogan sträubt sich gegen Nato-Aufnahme Finnlands und Schwedens:

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich kritisch zu einem Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens geäußert und auf deren Haltung in der Kurdenfrag­e verwiesen. „Wir verfolgen die Entwicklun­g sorgfältig, aber wir haben keine positive Meinung“, sagte er am Freitag. Die Türkei hat wie jedes Nato-Mitglied ein Vetorecht gegen die Aufnahme weiterer Staaten in das Bündnis.

Russische Sanktionen weiterhin ohne Auswirkung auf deutsche Gasversorg­ung:

Die von Russland angekündig­ten Sanktionen gegen Unternehme­n im Energiesek­tor zeigen weiter keine Auswirkung­en auf die Gasversorg­ung in Deutschlan­d. Nach Angaben der Bundesnetz­agentur vom Freitag ist die Versorgung stabil, und die Versorgung­ssicherhei­t ist weiter gewährleis­tet. Durch Sanktionsm­aßnahmen ausbleiben­de Gasmengen würden aktuell in vollem Umfang über den europäisch­en Gasmarkt beschafft.

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Imago-ARCHIVBILD: Metzel Russlands Präsident Wladimir Putin telefonier­te am Freitag mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz.

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