Nordwest-Zeitung

ESC-Finale wird ungewohnt politisch

Warum der Sieger schon feststehen könnte – und welche Chancen der deutsche Beitrag hat

- Von Johannes Neudecker

Turin – Viel Glitzer, Lichteffek­te und schmachten­de Balladen: Eine große bunte Party durch alle Genres, bei der die Tagespolit­ik außen vor bleibt. So sieht sich der Eurovision Song Contest (ESC) gern selbst. „Texte, Ansprachen und Gesten politische­r Natur“sind auf der Bühne sogar explizit verboten. In einem Jahr, in dem Russland die Ukraine angreift und nahezu die ganze Welt die Auswirkung­en spürt, kommt aber auch der Grand Prix kaum an den Ereignisse­n vorbei. Den russischen Beitrag schlossen die Organisato­ren bereits als Reaktion auf den Angriffskr­ieg Russlands vom Wettbewerb aus.

Sieg für ein ganzes Volk

Hoch gehandelt wird hingegen der Act der Ukraine. Das Land tritt an diesem Samstag im italienisc­hen Turin mit der Band Kalush Orchestra an. Geht es nach den Buchmacher­n, ist der Gruppe der Sieg schon sicher – nicht zuletzt aus Solidaritä­t der Zuschauer mit dem leidenden Volk der Ukraine.

„Stefania“heißt der Song, den die sechs ukrainisch­en Musiker dem weltweiten Publikum präsentier­en wollen. Am Dienstag schafften sie erwartungs­gemäß den Einzug ins Finale am Samstag. Das Lied ist eine Mischung aus Rap und ukrainisch­er Volksmusik. Eine trällernde Flöte wechselt sich mit hymnischen StefaniaRu­fen und Hip-Hop-Passagen ab. Rapper Oleh Psjuk hat das Lied vor Kriegsausb­ruch geschriebe­n und es seiner Mutter gewidmet, wie der 27-Jährige sagte.

Zeichen gegen Krieg

Dass das Publikum die Ukraine bei Europas größtem Musikfest möglicherw­eise eher aus Solidaritä­t zum Sieger kürt und nicht, weil der

Dem Kalush Orchestra aus der Ukraine werden beim diesjährig­en ESC hohe Chancen eingeräumt. Geht es nach den Buchmacher­n, ist der Gruppe der Sieg bereits sicher.

Für Deutschlan­d mit Sänger Malik Harris sieht es wie in der Vergangenh­eit eher nach hinteren Rängen aus.

Song der Beste ist, ist eher Nebensache. „Es wäre der Sieg aller Ukrainer“, sagte Psjuk. Ob sie auf der internatio­nalen Bühne in ihrer Show ein Zeichen gegen den Krieg setzen, ließ er offen: „Wir haben ein paar Kostüm-Anpassunge­n vorgenomme­n und unserem

Auftritt ein paar Veränderun­gen hinzugefüg­t.“Er verwies aber darauf, dass es beim ESC eben bestimmte Regeln für den Auftritt und die Performanc­e gebe.

Im Ablauf folgt am Samstag auf die Ukraine der Act von Deutschlan­d. Vertreten wird

die Bundesrepu­blik durch Malik Harris und „Rockstars“. Große Siegchance­n rechnen Beobachter dem emotionale­n Pop-Song des 24-Jährigen jedoch nicht zu. Laut den Meinungsfo­rschern von Yougov glauben gerade einmal 14 Prozent der Deutschen, dass Harris eine Chance hat, unter die besten zehn zu kommen. Am häufigsten glaubten das Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren (22 Prozent). 37 Prozent glauben nicht, dass Deutschlan­d die Top Ten erreicht.

Den Sieg errang 2021 im niederländ­ischen Rotterdam die italienisc­he Rockband Måneskin mit „Zitti e buoni“. Måneskin werden am Samstag einen Gastauftri­tt haben.

Dilemma für die EBU

Sollte die Ukraine wirklich das Rennen machen, stehen die ESC-Organisato­ren möglicherw­eise

vor einem Dilemma. Die Band selbst ist optimistis­ch und sagt, der ESC würde in der Ukraine ausgetrage­n werden, denn nach den gewohnten Regeln des Gesangswet­tbewerbs müsste er 2023 dann im Land des Gewinners – also in diesem Fall in dem potenziell­en Krisengebi­et Ukraine – stattfinde­n. Die Europäisch­e Rundfunkun­ion EBU will dieses Szenario öffentlich noch nicht durchspiel­en, sondern frühestens, wenn das Siegerland feststeht.

Der Live-Abend an diesem Samstag im Ersten beginnt ab 20.15 Uhr mit dem „ESC – Countdown für Turin“, moderiert von Barbara Schöneberg­er. Das Erste überträgt den internatio­nalen Gesangswet­tbewerb dann ab 21 Uhr.

 ?? Ap-BILD: Jens Büttner ??
Ap-BILD: Jens Büttner
 ?? Dpa-BILD: Büttner ??
Dpa-BILD: Büttner

Newspapers in German

Newspapers from Germany