ESC-Finale wird ungewohnt politisch
Warum der Sieger schon feststehen könnte – und welche Chancen der deutsche Beitrag hat
Turin – Viel Glitzer, Lichteffekte und schmachtende Balladen: Eine große bunte Party durch alle Genres, bei der die Tagespolitik außen vor bleibt. So sieht sich der Eurovision Song Contest (ESC) gern selbst. „Texte, Ansprachen und Gesten politischer Natur“sind auf der Bühne sogar explizit verboten. In einem Jahr, in dem Russland die Ukraine angreift und nahezu die ganze Welt die Auswirkungen spürt, kommt aber auch der Grand Prix kaum an den Ereignissen vorbei. Den russischen Beitrag schlossen die Organisatoren bereits als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands vom Wettbewerb aus.
Sieg für ein ganzes Volk
Hoch gehandelt wird hingegen der Act der Ukraine. Das Land tritt an diesem Samstag im italienischen Turin mit der Band Kalush Orchestra an. Geht es nach den Buchmachern, ist der Gruppe der Sieg schon sicher – nicht zuletzt aus Solidarität der Zuschauer mit dem leidenden Volk der Ukraine.
„Stefania“heißt der Song, den die sechs ukrainischen Musiker dem weltweiten Publikum präsentieren wollen. Am Dienstag schafften sie erwartungsgemäß den Einzug ins Finale am Samstag. Das Lied ist eine Mischung aus Rap und ukrainischer Volksmusik. Eine trällernde Flöte wechselt sich mit hymnischen StefaniaRufen und Hip-Hop-Passagen ab. Rapper Oleh Psjuk hat das Lied vor Kriegsausbruch geschrieben und es seiner Mutter gewidmet, wie der 27-Jährige sagte.
Zeichen gegen Krieg
Dass das Publikum die Ukraine bei Europas größtem Musikfest möglicherweise eher aus Solidarität zum Sieger kürt und nicht, weil der
Dem Kalush Orchestra aus der Ukraine werden beim diesjährigen ESC hohe Chancen eingeräumt. Geht es nach den Buchmachern, ist der Gruppe der Sieg bereits sicher.
Für Deutschland mit Sänger Malik Harris sieht es wie in der Vergangenheit eher nach hinteren Rängen aus.
Song der Beste ist, ist eher Nebensache. „Es wäre der Sieg aller Ukrainer“, sagte Psjuk. Ob sie auf der internationalen Bühne in ihrer Show ein Zeichen gegen den Krieg setzen, ließ er offen: „Wir haben ein paar Kostüm-Anpassungen vorgenommen und unserem
Auftritt ein paar Veränderungen hinzugefügt.“Er verwies aber darauf, dass es beim ESC eben bestimmte Regeln für den Auftritt und die Performance gebe.
Im Ablauf folgt am Samstag auf die Ukraine der Act von Deutschland. Vertreten wird
die Bundesrepublik durch Malik Harris und „Rockstars“. Große Siegchancen rechnen Beobachter dem emotionalen Pop-Song des 24-Jährigen jedoch nicht zu. Laut den Meinungsforschern von Yougov glauben gerade einmal 14 Prozent der Deutschen, dass Harris eine Chance hat, unter die besten zehn zu kommen. Am häufigsten glaubten das Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren (22 Prozent). 37 Prozent glauben nicht, dass Deutschland die Top Ten erreicht.
Den Sieg errang 2021 im niederländischen Rotterdam die italienische Rockband Måneskin mit „Zitti e buoni“. Måneskin werden am Samstag einen Gastauftritt haben.
Dilemma für die EBU
Sollte die Ukraine wirklich das Rennen machen, stehen die ESC-Organisatoren möglicherweise
vor einem Dilemma. Die Band selbst ist optimistisch und sagt, der ESC würde in der Ukraine ausgetragen werden, denn nach den gewohnten Regeln des Gesangswettbewerbs müsste er 2023 dann im Land des Gewinners – also in diesem Fall in dem potenziellen Krisengebiet Ukraine – stattfinden. Die Europäische Rundfunkunion EBU will dieses Szenario öffentlich noch nicht durchspielen, sondern frühestens, wenn das Siegerland feststeht.
Der Live-Abend an diesem Samstag im Ersten beginnt ab 20.15 Uhr mit dem „ESC – Countdown für Turin“, moderiert von Barbara Schöneberger. Das Erste überträgt den internationalen Gesangswettbewerb dann ab 21 Uhr.