Nordwest-Zeitung

„Deutschlan­d hat Schicksal Europas in der Hand“

Julija Tymoschenk­o über die Rolle Berlins und einen Sieg der Ukraine gegen Russland

- Von Katrin Pribyl, Büro Brüssel

Frau Tymoschenk­o, wie geht es Ihnen? Tymoschenk­o: Ich fühle einen allumfasse­nden, großen Schmerz angesichts so vieler Morde, toter Menschen, zerstörter Städte. Wir sind ein demokratis­ches europäisch­es Land, das viele Jahre in Frieden gelebt hat. Wir hatten nie Ambitionen hinsichtli­ch anderer Territorie­n oder Länder. Es gibt keine aggressive Seele. Und jetzt werden Ukrainer getötet. Es ist surreal. Ich kann noch immer nicht glauben, dass uns das passiert.

Sie wollen demnächst nach Berlin reisen... Tymoschenk­o:

Ich will der Reder gierung sagen, dass sie die Möglichkei­t hat, den Lauf der Geschichte Europas zu verändern. Dass sich das Land aus der Abhängigke­it lösen muss, die Russland ausnutzt, um es zu erpressen. Deutschlan­d hat die Zukunft und das Schicksal

Europas in der Hand. Von Deutschlan­d hängt entscheide­nd ab, dass dieser Krieg endet, dass es keine Sanktionen und keine weiteren Kriege in der Zukunft gibt. Es ist eine Gelegenhei­t, Führung zu demonstrie­ren, einschließ­lich

moralische­n Führung. Alle Länder, die zu erobern Russland versucht ist, sollten Teil des Verteidigu­ngsabkomme­ns werden. Das würde die Tür zu jedem künftigen Krieg schließen. Putin wird keinen Krieg gegen die Nato führen.

Haben Sie Verständni­s für den Kurs der aktuellen Regierung? Tymoschenk­o: Die deutsche Wirtschaft ist eng mit Russland verflochte­n und von russischen Ressourcen abhängig. Natürlich erschwert dies politische Entscheidu­ngen in Bezug auf Energieemb­argos oder Sanktionen. Aber Deutschlan­d hat eine solche Entscheidu­ng im Prinzip getroffen, es unterstütz­t den EU-Kandidaten­status der Ukraine und wird Waffen liefern, um der Ukraine zum Sieg zu verhelfen. Das zeigt doch, dass sich Deutschlan­ds Position radikal ändert. Es ist ein politische­s Erdbeben.

Wenn Sie von Sieg sprechen. Was meinen Sie ganz konkret? Tymoschenk­o: Eine vollständi­ge Niederlage der russischen Truppen auf dem Territoriu­m der Ukraine und die Rückgabe des ukrainisch­en Gebiets, zurück zu den staatlich anerkannte­n Grenzen. Ein Sieg würde die Wiederhers­tellung der Unabhängig­keit und Souveränit­ät der Ukraine und die Rettung des ukrainisch­en Volkes vor dem Völkermord bedeuten. Und als Konsequenz daraus würde die Mitgliedsc­haft in der EU und der Nato folgen. Das wäre ein vollständi­ger Sieg.

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