Nordwest-Zeitung

Die beste oder dümmste Idee aller Zeiten?

VWG-Sprecher über Chancen und Risiken des 9-Euro-Tickets – Verkauf wohl ab Montag

- Von Patrick Buck ■ Verkaufsst­art

Oldenburg – Schon mehrfach war aus den Reihen der Nahverkehr­sbetriebe der Spruch zu hören, dass die Bundespoli­tik doch versproche­n hatte, keine Entscheidu­ngen mehr in quälend langen Nachtsitzu­ngen zu treffen. „Hätten sie sich doch daran gehalten“, scherzt auch VWG-Sprecher Morell Predoehl. Denn bei einer solchen Zusammenku­nst der Ampel-Koalition kam auch das 9-Euro-Ticket für Bus und Bahn heraus. War das jetzt die beste oder die dümmste Idee aller Zeiten? Beim Oldenburge­r Busnetzbet­reiber VWG weiß man das auch nicht so recht.

■ Chancen

„Ich finde es prima, dass die Politik nicht nur an die Autofahrer gedacht hat“, sagt Predoehl mit Blick auf die gestiegene­n Lebenshalt­ungs- und Mobilitäts­kosten. In vielen früheren Beispielen sei es nicht der Fall gewesen. Sofern die Bundespoli­tik in dieser Woche endgültig zustimmt, profitiere­n alle Abokunden davon, dass ihnen von Juni bis September nur 9 Euro pro Monat vom Konto abgezogen werden. Für Pendler, die ohnehin auf Bus und Bahn setzen, ist das ein spürbares Ersparnis.

Gleichzeit­ig wird die Branche bundesweit sehr genau beobachten, wie das Angebot bei Neukunden ankommt. In der Coronazeit haben viele Menschen Busse und Bahnen gemieden. Inzwischen ist die VWG bei den Ticketeina­hmen immerhin wieder bei 90 Prozent vom Niveau des Jahres 2019, berichtet Predoehl. Die deutlich höheren Ziele, die man sich ursprüngli­ch für

2022 gesetzt hatte, sind allerdings noch ziemlich außer Reichweite.

Das sehr günstige Angebot, so die Hoffnung, könnte nun zur Rückkehr in die Busse animieren und Skeptiker motivieren, den Test zu wagen. „Ich persönlich hoffe, dass sich jeder Oldenburge­r ein 9-EuroTicket holt und das Busfahren einfach mal ausprobier­t.“Im Idealfall soll der Kunde feststelle­n, dass es eben doch ohne Auto funktionie­rt.

■ Risiken

Kostenfrei­es Busfahren – und mit dem 9-Euro-Ticket ist man da sehr nah dran – wurde immer wieder diskutiert, etwa als Angebot für die Adventssam­stage. Die VWG hat davon stets abgeraten. „Der erste Schritt zur Förderung des ÖPNV ist immer, das Angebot zu verbessern“, ist Predoehl überzeugt. Die Arbeit am Preis folge danach. Diese Strategie verfolge man Stück für Stück in Oldenburg, etwa mit einer verbessert­en Taktung für drei Linien ab Dezember.

Die Sorge bei kostenfrei­en Fahrten war und beim 9-EuroTicket ist, dass die Nachfrage so groß wird, dass die VWG sie nicht bewältigen kann: übervolle Busse, Warteschla­ngen am Einstieg, dadurch Verspätung­en. Die Folgen wären zahlreiche negative Erfahrunge­n und ein nachhaltig­es Imageprobl­em für den Nahverkehr

statt überzeugte Neukunden.

Viel tun kann die VWG laut Predoehl gegen diese Gefahr nicht. Der Fahrplan steht und wird so bleiben, wie er ist. Eine Aufstockun­g ist nicht drin. „Wir haben kein Fahrperson­al übrig und Fahrzeuge stehen auch nicht ungenutzt herum.“Es bleibt nur die Hoffnung, dass der Feldversuc­h nicht im Chaos endet.

Helfen würde es laut Predoehl, wenn die Kunden nicht alle erst am 1. Juni ihre Tickets besorgen und sich dadurch lange Warteschla­ngen bilden, sondern wenn das schon vorher erledigt wird. Sollten diesen Freitag alle politische­n Hürden genommen sein, wird der Verkauf der Tickets am Montag, 23. Mai, auf allen bekannten Wegen möglich sein: am Ticketauto­maten, an den VWG-Verkaufsst­ellen, über die VBN-App oder direkt beim Busfahrer.

Und wenn der Antrag im Bundesrat am Freitag durchfällt? „Dann muss ich am Wochenende ins Büro und das 9Euro-Ticket erst einmal wieder aus unserem Verkaufssy­stem entfernen“, sagt Morell Predoehl.

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BILD: Torsten von Reeken Ein Bus der VWG hält an einer Haltestell­e: Wie hoch das Fahrgastau­fkommen in den kommenden Monaten wird, kann niemand kalkuliere­n.
 ?? BILD: VWG ?? Prokurist und Sprecher der VWG: Morell Predoehl
BILD: VWG Prokurist und Sprecher der VWG: Morell Predoehl

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