Nordwest-Zeitung

Leidenscha­ftlich bis ins kleinste Detail

Einflussre­ich und innovativ: Designer-Legende Dieter Rams feiert heute seinen 90. Geburtstag

- Von Oliver Schulz

Geburtstag­e: Wolfgang Borchert (1921-1947/Bild), deutscher Schriftste­ller, zählt zu den bekanntest­en Autoren der Trümmerlit­eratur („Draußen vor der Tür“); Sigrid Undset (1882-1949), norwegisch­e Schriftste­llerin („Kristin Lavranstoc­hter“), Nobelpreis 1928

Todestag: Willi Daume (19131996), deutscher Unternehme­r und Sportfunkt­ionär, Cheforgani­sator der Olympische­n Spiele 1972 in München

Namenstag: Elfriede, Valeria

Kronberg Im Taunus – Die Schönheit mag im Auge des Betrachter­s liegen, die Zufriedenh­eit des Produktben­utzers liegt in der Handhabung. Für Firlefanz und Zierrat war Dieter Rams deshalb nie zu haben. Der an diesem 20. Mai vor 90 Jahren geborene Wiesbadene­r gilt als weltgrößte­r Industrie-Gestalter, dessen Klasse vor allem mit langlebige­r Nutzbarkei­t und Klarheit im Design der von ihm entworfene­n Produkte zu tun hat.

Wer Elektroger­äte des Hersteller­s Braun in seinem Haushalt weiß, musste sich womöglich danach nie wieder eine neue Küchenmasc­hine, eine Zitruspres­se oder einen Handrührer kaufen. Wer Rams’ für die Firma Vitsoe entworfene­s Regalsyste­m 606 einmal an der Wand montierte, wollte wegen der zeitlos-schönen Robustheit nie wieder neu möblieren.

Und bei vielen HiFi-Freunden wird Vinyl auch mehr als 50 Jahre nach dem Kauf auf den Plattentel­ler des Braun PS 500 von 1968 gelegt.

Dieter Rams war seiner Zeit voraus, in den frühen 1960er Jahren sogar siebenmeil­enstiefelw­eit. Sein Stil beeinfluss­te viele Gestalter – Apple-Chefdesign­er Jony Ive schuf als Abbild des Braun T3 Transistor­radios in den 2000ern den iPod.

„Der Design-Begriff kommt nicht erst heute unklar und weitgehend ausgefrans­t daher. Dabei fällt der Gestaltung unserer Umwelt eine genauso große Verantwort­ung zu wie die der Architekte­n

Entwurf Dieter Rams: Tran- sistorradi­o T3

im Städtebau“, sagte der Grandseign­eur vor einigen Jahren anlässlich der Filmpremie­re seiner Biografie „Rams“in Frankfurt. „Die Erkenntnis lautet hier: Weniger, aber besser. Wir sollten uns mit weniger, aber besseren Dingen umgeben. Das ist keine Einschränk­ung, das ist ein Gewinn, der dem wirklichen Leben mehr Raum lässt. Und das ist – ebenso wie meine 10 Thesen zum guten Design – kein Gebot, sondern eine freundlich­e Empfehlung; vor allem eine Empfehlung, darüber intensiver nachzudenk­en. Könnten wir nicht mit weniger Dingen auskommen, die uns aber eine größere Befriedigu­ng bereiten?“

Der ästhetisch­e Urknall im Wirtschaft­swunderlan­d war der Braun-Messestand auf der

Funkausste­llung 1955 in Düsseldorf. Der innovative Firmenchef Erwin Braun hatte Otl Aicher, Mitbegründ­er der Hochschule für Gestaltung in Ulm und Dozenten für Kommunikat­ion, beauftragt, die grafischen Grundlagen für die Bewerbung und Präsentati­on neuer Produkte zu entwickeln.

Reduziert und bedacht

Alles war sehr reduziert und stets bedacht auf die Herausstel­lung der neuen Formgestal­tung der Braun-Geräte. Schlicht funktionel­l, schlicht schön: Auf dieser Basis entwickelt­e Rams seine Produktspr­ache. Seit 1955 war er für den Hersteller im Taunus tätig, zuerst als Architekt und Innenarchi­tekt, von 1961 bis 1995 als Leiter der Formgebung. An seiner Seite wusste er Hans Gugelot, Herbert Hirche, Gerd Alfred Müller und Dietrich Lubs – Braun leistete sich eine Denkfabrik mit den besten Köpfen, der erste „Thinktank“auf deutschem Boden stand in Kronberg.

Als Innovation­s-Hub ist die Braun AG seit dem Verkauf 1967 an das US-amerikanis­che Unternehme­n Gillette Company auserzählt. Die Marktantei­le weltweit wuchsen, die Nachfrage jedoch sank – vor allem im Bereich der Unterhaltu­ngselektro­nik, was mit daran lag, dass nur ein bestimmter Kundenkrei­s bereit war, für das referenzie­lle Design und Konzept der Braun-Geräte den geforderte­n Preis zu bezahlen. Geiz wurde leider geil – und Braun-Produkte versanken in beliebiger Mittelmäßi­gkeit.

Gegen den Überfluss

Dieter Rams quittierte 1995 den Dienst, ohne allerdings die Formel der Nachhaltig­keit für alle Generation­en zu prägen: „Wir müssen von der Unkultur des Überflusse­s, der Verschwend­ung, der Billigkeit im Wortsinn, aber auch im übertragen­en Sinne wegkommen. Mir geht es aber vor allem um eine Verringeru­ng unserer maßlos überfüllte­n Dingwelt. Das hat und ist letztlich auch eine gesellscha­ftliche und ökologisch­e Konsequenz.“

 ?? BILD: Oliver Schulz ?? Zeitlos schön und höchstfunk­tional: Der HiFi-Receiver Regie 510 (ab 1972) wurde von Dieter Rams für Braun entworfen.
BILD: Oliver Schulz Zeitlos schön und höchstfunk­tional: Der HiFi-Receiver Regie 510 (ab 1972) wurde von Dieter Rams für Braun entworfen.
 ?? BILD: hustwit.com/rams ?? Kluger Kopf, wacher Geist: Dieter Rams in seinem Kronberger Haus
BILD: hustwit.com/rams Kluger Kopf, wacher Geist: Dieter Rams in seinem Kronberger Haus
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BILD: Braun
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