Volles Programm
Es ist das Vorrecht der Jugend, die Zukunft in die eigene Hand zu nehmen. Und ebenso ist es nachfolgenden Generation gegeben, Ideen und Visionen für eine lebenswertere Welt zu entwickeln – und notfalls zu scheitern. Heinrich Vogeler, der in diesem Jahr zu seinem 150. Geburtstag als vielfach talentierter Künstler gefeiert und gerade vom Feuilleton als „Homo Politicus“wiederentdeckt wird, steht dafür mit seiner Lebens- und Leidensgeschichte.
Am 12. Mai feierte der Kinofilm „Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers“Weltpremiere im Bremer Goethe-Theater. An Originalschauplätzen wie Worpswede und Paris gedrehte Filmszenen, Archivfotos und Interviews spiegeln seine biografischen Brüche. Schauspieler Florian Lukas ist in der sehr beeindruckenden Doku-Fiktion als Vogeler zu sehen und Anna-Maria Mühe als dessen Muse und erste Ehefrau. Johann von Bülow spielt den Dichter Rainer Maria Rilke und Naomi Achternbusch ist Paula Modersohn-Becker.
Der am 12. Dezember 1872 in Bremen als Sohn eines Eisenwarengroßhändlers geborene Heinrich Vogeler wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen im Haus
„Außer der Schleifmühle
51“auf. Als Universalkünstler wurde er Liebling des Bürgertums der Hansestadt und hatte alles, was er sich wünschen konnte: eine Familie mit Frau Martha und drei Kindern, das stattliche Anwesen Barkenhoff in der Künstlerkolonie Worpswede als Treffpunkt illustrer Gäste, zudem viel Anerkennung und viele Förderer, darunter der Kaffeehändler („Kaffee Hag“) und Kunstmäzen Ludwig Roselius.
„Aus dem Leben eines Träumers“(Filmplakat)
Heinrich Vogelers Werke wurden hoch geschätzt und teuer bezahlt. Zwischen 1904 und 1905 gestaltete er für den Bremer Senat nach der Empfehlung des Kunsthallenleiters Gustav Pauli die Güldenkammer im Rathaus. Der neue Film „Aus dem Leben eines Träumers“zeigt den jungen Maler weiterhin auf der Suche nach künstlerischer Identität. Biblische Themen und Motive aus Sagen versetzt er in die heimische Moorlandschaft. Martha, die Tochter des Dorfschullehrers Schröder, ist Muse, später Frau und Mutter seiner Kinder und wird von ihm in vielen Bildern porträtiert.
Heinrich Vogelers
Aufbruch und Zweifeln
Vogelers lange Zeit erfolgreicher Lebensweg ist geprägt von Aufbruch und Veränderung, aber auch von Identitätskrisen und vielen Zweifeln. Er war gleichermaßen erfolgsverwöhnter Jugendstilmaler wie zentrale Figur im Künstlerdorf Worpswede um den Dichter Rainer Maria Rilke und dessen Frau, die Bildhauerin Clara Westhoff, sowie das Ehepaar Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker, die allesamt im Jahr 1901 heirateten.
Der zugleich rastlose wie reisefreudige Rilke entflieht dem Worpsweder Idyll, trifft mit Clara und Paula 1903 den Bildhauer Auguste Rodin. Vogeler entwickelt einen immer schärferen Blick für seine Umwelt abseits des Barkenhoffs,
Rainer Maria Rilke (Johann von Bülow) war als guter Freund Heinrich Vogelers oft zu Besuch auf dem Barkenhoff in Worpswede und rezitierte dort regelmäßig Gedichte.
und entdeckt sein Herz für die Arbeiterklasse. Beim Eintritt des Deutschen Reiches 1914 in den Krieg meldet sich Vogeler freiwillig für die Front. Die entsetzlichen Erfahrungen auf Schlachtfeldern und in Schützengräben machen ihn zum Radikalpazifisten.
Gegen Gott und Kaiser
Aufsehen erregt sein „Märchen vom Lieben Gott“, das er als Brief an Kaiser Wilhelm II. schickt. Vogeler klagt darin die Verlogenheit der deutschen Politik an, die einen Verteidigungskrieg versprochen hat, aber einen Eroberungskrieg führt und sich auf Gott beruft. Er fordert den Kaiser zur Umkehr auf und zum Abschluss eines ehrlichen Friedens. Am Ende wird Unteroffizier Vogeler, einer der bekanntesten
Künstler und Träumer einer gerechten Welt, unehrenhaft aus der Armee entlassen.
Er gründet auf dem Barkenhoff eine basisdemokratische Arbeitsgemeinschaft, die politisch und intellektuell Suchenden eine Zuflucht bietet. So wird er Teil der revolutionären
Arbeiterbewegung und emigriert 1930 in die Sowjetunion. Hier arbeitet der ehemalige Jugendstil-Maler als Künstler für den Aufbau der neuen Gesellschaft, sein „kosmischer Aufbruch“, sein „Expressionismus der Liebe“ist die radikale Abwehr vom alten Leben, hin
Anna Maria Mühe genießt in der Rolle der Martha Vogeler die Weite der Worpsweder Landschaft.
Die Worpsweder Museen
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Barkenhoff, Große Kunstschau, Haus im Schluh und Worpsweder Kunsthalle – zeigen aus Anlass des 150. Geburtstags die Gemeinschaftsschau „Heinrich Vogeler. Der Neue Mensch“(bis 6. November). Zu den Bremer Kooperationspartnern gehört auch das FockeMuseum, Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, in dessen Sammlung sich zahlreiche Objekte des Künstlers befinden.
Heinrich Vogeler
(18721942) war ein vielseitig begabter Künstler, der in der Buchgestaltung und Druckgrafik Maßstäbe setzte und als Maler und Architekt, Designer und Innengestalter arbeitete. Er traf den Geschmack des Bürgertums und war über Bremen und Worpswede hinaus gefragt.
Der Film
„Heinrich Vogeler – Aus dem Leben eines Träumers“(Buch und Regie: Marie Noëlle) beschäftigt sich in einer faszinierenden Mischung aus Dokumentarund Spielfilm mit dem Lebensweg Heinrich Vogelers ab dem Jahr 1900 bis zu seinem Tod 1942. Er ist eine Produktion von Kinescope Film (Produzent: Matthias Greving) in Koproduktion mit NDR/ARTE. Film, Ausstellung und Begleitprogramm bieten im Jubiläumsjahr 2022 einem breiten Publikum die einzigartige Gelegenheit, dem Menschen Heinrich Vogeler und seinem Werk sowohl im Kino als auch an den originalen Schauplätzen seines Lebens in Worpswede und Bremen zu begegnen.
zum neuen Menschen, zur Vereinigung von Kunst und Politik.
Damit steht er aber nicht allein da: Das Kristalline in der Darstellung ist auch bei Klee, bei Taut und bei Feininger zu finden – man denke an dessen Holzschnitt „Kathedrale des Sozialismus“von 1919. Vogeler glaubt, mit der Flächengliederung seiner ab 1924 entstehenden Komplexbilder ein formales Prinzip gefunden zu haben, das sich aus den neuen sozialen Strukturen und Prozessen in der Sowjetunion ergeben hat und ihnen entspricht.
Die neue Zeit und die Diktatur des Proletariats haben für Heinrich Vogeler keinen Platz. Er stirbt am 14. Juni 1942, von Moskau nach Kasachstan zwangsevakuiert, verarmt und einsam in einer Kolchose.