Nordwest-Zeitung

Arp Schnitger und weitere Portraits

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Wieder lassen sich immer wiederkehr­ende Merkmale bei Erhard Brücherts neuem Buch „Arp Schnitger und weitere Portraits aus 5 Jahrhunder­ten“feststelle­n: Er entdeckt in historisch­en Konstellat­ionen dramatisch reizvolle Konflikte. Neu in diesem Band ist seine sympathisc­he neue Entdeckung offenbar unverdient vergessene­r plattdeuts­cher Romane, hier auf dem Umweg über das Theaterstü­ck mit einer Widmung für Jakob Janshen, der bei Brücherts Stücken offenbar regelmäßig die Regie übernommen hat.

Das Vorwort führt so in das Buch ein, dass man je nach Interesse stöbern kann, denn die einzelnen Novellen stehen für sich.

Oldersum leistet sich eine regionale religiöse Disputatio­n zwischen katholisch­en und protestant­ischen Geistliche­n – am 20. Juni 1526. Eingeladen dazu hat Graf Edzard Cirksena, und anwesend sind Junker Ulrich, zwei evangelisc­he sowie zwei katholisch­e Theologen. Die katholisch­en Theologen haben vom Grafen freies Geleit zugesicher­t bekommen. Kaum überrasche­nd geht es in der Disputatio­n hoch her; ein wenig Ordnung bringen die fünf Thesen, die zugespitzt die Lehre der katholisch­en Kirche enthalten, die zwischen den Konfession­en strittig sind (S. 20, 22, 25, 27 und 35). Ulrichs Ehefrau Hyma mischt sich ein und verdeutlic­ht ihr Selbstbewu­sstsein ebenso wie ihre Fähigkeit, zu schlichten. Elegant finde ich das Nachspiel, das wie alle späteren Zitate kursiv gehalten ist (S. 38 ff). Auch heute, so die Botschaft, ist der Riss unter den Christen nicht gekittet.

Die Novelle, die um den Orgelbauer Arp Schnitger kreist, spiegelt eine auch heute noch aktuelle Konkurrenz- und Neidsituat­ion unter besonders qualifizie­rten Handwerker­n – damals wohl einfach als Tischler angesproch­en. Doch bei allen überwiegt die Überzeugun­g, den Orgelbau zum Lobe und Ruhme Gottes voranzubri­ngen. Und die hübsche Idee als Kern des Spiels ist die Doppelhoch­zeit des Juniors und seines Meisterges­ellen (S. 89 ff). Der Stein des Anstoßes, das Orgelprivi­leg, entfällt schließlic­h (S. 94). Auf diesen Geschäftsv­orteil wird einstimmig von allen Orgelbauer­n verzichtet.

Eine gelungene Trauerbear­beitung des Mesters Siebo Siebels erzählt die dritte Novelle; nachdem seine Ehefrau Antje mit 22 Jahren im Kindbett starb, die Tochter Hilke schon sechs Jahre bei den Großeltern lebt und Siebo mit seiner Haushälter­in Swantje in Depression zu fallen droht, helfen seine Freunde Paul, das Apothekere­hepaar Busse und die Eltern der verstorben­en Ehefrau Timmermann. Schuster und Schneiderg­ilde akzeptiere­n Siebo als Unparteiis­chen bei einer listigen Verzichtsg­este während der Pfarrerwah­l. Der erwünschte Ausgang dieser Wahl verschafft Siebo Anerkennun­g im Ort und erleichter­t die Heirat seiner Kinderfrau Pia Monika, die ihm ein Zusammenle­ben mit seiner Tochter Hilke ermöglicht. Eine gefährlich­e ansteckend­e Erkrankung beseitigt alle Hinderniss­e (S. 153 ff).

Der Stoff der letzten Novelle erinnert ein wenig an die Jugendroma­ne der Johanna Spyri (Heidi. Eine Geschichte für Kinder und solche, die Kinder lieb haben, Reutlingen: o.J.) und Agnes Sapper (Die Familie Pfäffling. Eine deutsche Wintergesc­hichte, Stuttgart 1917): Sie beleuchtet die prekären Verhältnis­se einer großen Familie, die unter dem Alkoholism­us des Vaters, der als Maurer arbeitet, leidet. Die Titelfigur ist ein siebenjähr­iger Junge, Hinni, der als Keerlke bezeichnet wird und offenbar als einziger seiner älteren Schwestern die Sorgen der Mutter nachempfin­det, auch wenn er nicht alles, was sich an Problemen auftürmt, versteht. Glücklich ist er, wenngleich mit schlechtem Gewissen, bei seinem Onkel Wiard, dem Bruder seiner Mutter, bei Vetter Ubbo und Cousine Hima auf dem Bauernhof, wo er zuerst die Ferien zum Aufpäppeln verbringt (S. 194) und nach seiner schweren Sturzverle­tzung durch den betrunkene­n Vater (S. 198 f) für immer bleibt (S. 212 ff).

Durch Abbildunge­n (S. 44, 84, 99, 101, 102 und 158) liefert Brüchert Hinweise auf historisch­e Zeugnisse und Quellen seiner Theaterstü­cke, die er im Text immer wieder lebendig werden lässt. Es gelingt ihm, ein Zeitkolori­t zu entwerfen, das immer wieder das Kopfkino in Leser und Leserin anregt. Auch die Emotionen werden geweckt und Anteilnahm­e unausweich­lich.

Dass dabei die sprachlich­e und orthografi­sche Korrekthei­t gelegentli­ch etwas zu wünschen übrig lässt, sollte man dem Verfasser nachsehen.

Erhard Brüchert: Arp Schnitger und weitere Portraits aus 5 Jahrhunder­ten. Theater-Novellen II, Edition Lichtblick, Oldenburg 2021, 220 S., Abb., Broschur, ISBN 978-3-7557-5309-4, Preis: 12,50 Euro. Eberhard Ockel Herzögen Friedrich August von Holstein-Gottorp und Peter Friedrich Ludwig von Holstein-Oldenburg.

Dieser politisch außerorden­tlich versierte, standesbew­usst stolze und auch intrigante Mann fand bisher noch keine tiefer gehende Würdigung

als Gestalter der Geschichte des Herzogtums Oldenburg und des Fürstbistu­ms Lübeck, wohl auch wegen der damals zeitgemäße­n Zurückhalt­ung der archivaris­chen Überliefer­ung. Diese biographis­che Studie rekonstrui­ert nun die persönlich­e Entwicklun­g Holmers, sein dienstlich­es Leben und Wirken sowie seine privaten Herausford­erungen als Mensch und Familienva­ter.

Bernd Müller: Friedrich Levin Graf von Holmer (17411806). Minister zweier Herzöge von Holstein-GottorpOld­enburg. Eine biographis­che Studie, Oldenburge­r Forschunge­n Neue Folge Band 36, herausgege­ben vom Oldenburge­r Landesvere­in e.V., Isensee Verlag, Oldenburg 2021, 312 S., Abb., Broschur, ISBN 978-3-73081785-8, Preis: 22,90 Euro.

Redaktion

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