Die lange Stille nach dem Sturz
Martin Winterkorn wird 75 Jahre alt – Früherer VW-Chef über Abgas-Skandal gestürzt
Wolfsburg/München – Wer hätte gedacht, dass diese steile Karriere einmal so enden würde? Nach Jahren immer höherer Gewinne, nach Jahren als bestbezahlter deutscher Topmanager, nach Jahren der Ehrfurcht vor seinem technischen Wissen und unternehmerischen Erfolg war für Martin Winterkorn als VolkswagenChef am 23. September 2015 schlagartig Schluss.
■ Die Diesel-Affäre
Fünf Tage zuvor hatte die USUmweltbehörde eine Bombe platzen lassen: Sein Konzern habe eine Software eingesetzt, um Messungen des Schadstoffausstoßes bei Dieselautos zu manipulieren. Bald stand fest, dass der betrügerische Code in Millionen von Wagen steckte.
Bis heute ist unklar, wer im Konzern bis hin zu dessen Spitze wann genau was wozu wusste. Für Winterkorn, der an
diesem Dienstag 75 Jahre alt wird, bedeutete es bei VW aber bereits mit sofortiger Wirkung das Aus. Damals völlig unerwartet, nach fast neun Jahren an der Vorstandsspitze.
Er habe zu akzeptieren, dass sein „Name verbunden ist mit der sogenannten Dieselaffäre“, sagte er später. Als Eingeständnis einer Mitschuld am Abgasskandal wollte der lange als unantastbar geltende
Lenker des größten deutschen Unternehmens das keinesfalls verstanden wissen. Und beinahe sieben Jahre danach will – oder kann – Winterkorn zur Aufklärung von „Dieselgate“weiter wenig beitragen.
Jedenfalls nicht öffentlich, nicht im Gerichtssaal. Ein medizinisches Gutachten erspart es ihm bisher, beim ersten großen Strafprozess in Braunschweig erscheinen zu müssen.
Die Anklage in dem Verfahren, das seit September 2021 gegen vier andere Ex-VWManager sowie -Ingenieure läuft, lautet auf gewerbs- und bandenmäßigen Betrug mit dem Täuschungsprogramm. Dessen Funktion sei es gewesen, VW-Diesel nur auf dem Prüfstand den Abgasstrom vollständig reinigen zu lassen.
Der Ex-Chef musste sich nun drei Hüftoperationen unterziehen. Die Folgen der Eingriffe führten zum Gutachten, das fehlende Verhandlungsfähigkeit attestierte – für den Vorsitzenden Richter Schütz die Basis, das Verfahren von den übrigen abzutrennen. Wird er überhaupt noch vor dem Richter erscheinen?
■ Starke Zahlen
Sicher ist aber: Kaum ein Topmanager ist binnen so kurzer Zeit so tief gestürzt. „Mr. Volkswagen“sonnte sich in den Erfolgen einer Rekordjagd, die kein Ende zu nehmen schien. „Wiko“– wie er vom Bandarbeiter bis zum Vorstandskollegen genannt wurde – war ein Star der Wirtschaftselite, mit Jahresgehältern von bis zu 17 Millionen Euro und einer Rente von 3100 Euro pro Tag. 2002 wurde Winterkorn Audi-Chef, 2007 gelangte er an die VW-Spitze. Unter ihm entstanden über 140000 Jobs, Umsatz und Ergebnis verdoppelten sich.
Winterkorn lebt heute zurückgezogen in München.