Nordwest-Zeitung

Ihre Flucht soll nicht vergessen werden

2015 kam Malak Kadour von Syrien nach Deutschlan­d – 14-Jährige verfasst Buch

- Von Chelsy Haß

Oldenburg – Die Erde bebt, Staub liegt in der Luft, jeden Tag kreisen Flugzeuge über ihrer Heimat, Todesangst ist ihr ständiger Begleiter und die einst so schöne und ausgelasse­ne Kindheit scheint für immer vorbei zu sein. Mittlerwei­le ist es fast sieben Jahre her, dass Malak Kadour gemeinsam mit ihrer Familie geflüchtet ist. Sie haben es nicht länger ausgehalte­n und sich schweren Herzens dazu entschiede­n, ihre geliebte Heimat Syrien hinter sich gelassen.

„Ich dachte zuerst, dass wir in den Urlaub fahren. Ich wusste nicht, was Flucht bedeutet“, erklärt Malak Kadour, die damals erst acht Jahre alt war. Gemeinsam mit ihren Eltern und den zwei kleineren Brüdern kam sie über einen langen und beschwerli­chen Weg nach Deutschlan­d. Mittlerwei­le ist die heute 14-Jährige angekommen. Sie hat die Sprache gelernt, neue Freunde und Hobbys gefunden. Und doch ist das Erlebnis der Flucht ein Teil von ihr geblieben.

Über Erlebtes sprechen

„Ich habe mich immer gefragt, warum andere Leute, die mit uns geflohen sind, nicht darüber gesprochen haben. Warum sie niemandem von den schrecklic­hen Erlebnisse­n berichtet haben. Denn das kann keiner so erzählen wie wir. Andere Leute können nicht nachempfin­den, wie es ist, die beste Freundin durch eine herabstürz­ende Bombe zu verlieren. Wie es ist, wenn man weiß, dass man seine Oma nie wieder sehen wird oder wie es sich anfühlt, nachts durch das dunkle Mittelmeer schwimmen zu müssen und Angst vor dem Ertrinken zu haben, weil man gar nicht richtig schwimmen kann“, sagt Malak.

Sie habe Angst gehabt, ihre Fluchterle­bnisse zu vergessen und so kam der Gedanke, sie

aufzuschre­iben. „Verloren in einer grässliche­n Welt“heißt das Buch, das aus dieser ersten Idee entstanden ist. In einem Notizbuch, in dem jede Zeile genutzt wurde, hat Malak alles festgehalt­en. „In der Schule habe ich daraus vorgelesen und das hat alle berührt. Ich wurde dann für den Jugendkult­urpreis angemeldet“, erklärt die 14-Jährige.

Eine von zehn Gewinnern

Bereits vor einigen Monaten waren zehn Gewinnerpr­ojekte von kreativen Köpfen zwischen 14 und 21 Jahren ausgewählt und jeweils mit 1000 Euro belohnt worden – darunter auch Malaks Geschichte. Am vergangene­n Freitag reiste sie mit ihrer ganzen Familie nach Hannover, wo das Finale des Wettbewerb­s stattfand. Und die Reise sollte sich

lohnen: Als eine von drei Gewinnerin­nen erhielt Malak nochmal 1000 Euro.

„Ein paar Euros habe ich für neue Stifte aufgegeben. Den Rest möchte ich dafür nutzen,

um aus meiner Geschichte ein gedrucktes Buch zu machen“, erklärt die 14-Jährige. Ein Graphic Novel in Deutsch und Arabisch soll es werden. Noch ist Malak sich jedoch nicht sicher,

wie das umgesetzt werden kann. „Das Buch ist mir wichtig, weil ich für all diejenigen sprechen möchte, die im Krieg oder auf der Flucht gestorben sind“, sagt Malak.

Es sei zudem eine wichtige Erinnerung an Syrien. Denn in ihrem Buch gehe es auch um ihr Leben vor der Flucht. „Wir Kinder haben immer draußen gespielt und sind auf Bäume geklettert. Es war warm und die Natur war wunderschö­n“, erinnert sie sich zurück.

Bis heute bereut die Familie es nicht, Syrien verlassen zu haben. Sie sind in Sicherheit und wurden gut aufgenomme­n. Trotzdem bleibt so etwas wie Heimweh zurück. Malaks Mutter möchte ihren Kindern irgendwann gerne zeigen, wo sie geboren wurden und wie schön alles war. „Das machen wir. Aber es wird wohl noch eine Weile dauern“, sagt Malak.

 ?? BILD: Chelsy Haß ?? Malak Kadour hat am Jugendkult­urpreis 2022 teilgenomm­en und mit der Geschichte über ihre Flucht aus Syrien gleich zwei Mal gewonnen
BILD: Chelsy Haß Malak Kadour hat am Jugendkult­urpreis 2022 teilgenomm­en und mit der Geschichte über ihre Flucht aus Syrien gleich zwei Mal gewonnen
 ?? BILD: Chelsy Haß ?? Jede Zeile genutzt: Malak hat beim Schreiben jede Zeile genutzt und mehrere Versionen von „Verloren in einer grässliche­n Welt“geschriebe­n.
BILD: Chelsy Haß Jede Zeile genutzt: Malak hat beim Schreiben jede Zeile genutzt und mehrere Versionen von „Verloren in einer grässliche­n Welt“geschriebe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany