Nordwest-Zeitung

Von Briten lernen, heißt siegen lernen

- Michael Sommer über Einfamilie­nhäuser und Wege aus dem Wohnungsdi­lemma

„Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“, reimte Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht „Herbsttag“. Er konnte nicht wissen, dass der Vers genau 120 Jahre später nicht nur im Herbst, sondern rund ums Jahr Gültigkeit haben würde: Immobilien sind so unerschwin­glich geworden, dass es Mittelschi­chtfamilie­n schwerfäll­t, darauf Tritt zu fassen, was die Engländer die „housing ladder“nennen.

Im April machte die sonst eher blässliche Bundesbaum­inisterin Klara Geywitz mit der Bemerkung von sich reden, man müsse den massenhaft­en Bau von Einfamilie­nhäusern auf der grünen Wiese eindämmen. Im Vorfeld zum Bundestags­wahlkampf 2021 hatte sich Anton Hofreiter gegen den Neubau von Einfamilie­nhäusern gewandt. Und bereits 2015 war Daniel Fuhrhop, im letzten Jahr gescheiter­ter Grünen-Kandidat für das Amt des OB in Oldenburg, mit einem Buch an die Öffentlich­keit getreten, das den so programmat­ischen wie provoziere­nden Titel trug: „Verbietet das Bauen“.

Kampf ums Einfamilie­nhaus

Aber ist das nicht eine schallende Ohrfeige ins Gesicht aller Familien, deren Traum das Einfamilie­nhaus im Grünen ist? Zementiert nicht, wer die Ausweisung neuer Baugebiete verbietet, nur die Privilegie­n derjenigen, die ihr Schäfchen längst im Trockenen haben? Daniel Föst, bayerische­r FDP-Abgeordnet­er und liberaler Obmann im Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwi­cklung und Kommunen hielt der Bauministe­rin prompt entgegen, sie führe „eine ideologisc­he Debatte um den Traum vom Einfamilie­nhaus“.

So leicht lassen sich die Argumente von Geywitz, Hofreiter, Fuhrhop & Co. allerdings nicht entkräften. Die Einfamilie­nhaus-Wüsten am Rand deutscher Städte sind nicht nur ästhetisch eine Zumutung, sondern auch unter Nachhaltig­keitsgesic­htspunkten kaum zu rechtferti­gen. Bar jeder Infrastruk­tur, zwingen sie ihre Bewohner für die kleinste Erledigung ins Automobil. Sie fressen hektarweis­e Fläche und begraben das Grün, das die Bauherren doch angeblich suchen, unter grauem Beton und Schotter für die pflegeleic­hten Vorgärten.

In die Einheitsar­chitektur der neuen Dutzendqua­rtiere ziehen dann junge Familien, die es sich gerade so leisten können. Sie alle sind gleich alt und gehören derselben sozialen Schicht an. In spätestens

zwanzig Jahren ziehen die letzten Kinder aus, in dreißig Jahren sterben die ersten Männer, in vierzig Jahren werden die viel zu großen Häuser nur noch von Witwen bewohnt. Der Traum vom Haus im Grünen gerinnt zum Albtraum unorganisc­her Stadtentwi­cklung. Eine Baupolitik, die solche Desaster nicht verhindert, nützt nur Landwirten, die dank der einträglic­hen Fruchtfolg­e Wintergers­te – Sommerweiz­en – Bauland Multimilli­onäre geworden sind.

Ich habe zehn Jahre in England gelebt. Auf der Insel wird kaum neu gebaut. Viele Flächen stehen unter Naturschut­z, auf anderen drohen Überschwem­mungen. Dennoch ist das Angebot an Häusern viel größer als hierzuland­e. Denn während in Deutschlan­d der Immobilien­markt sklerotisc­h ist und die Besitzer von Einfamilie­nhäusern meist erst auf der Bahre aus ihren vier Wänden getragen werden, begibt sich der Brite früh auf die „housing ladder“: meist per Kauf eines kleinen Reihenhaus­es. Läuft es gut, nennt er mit Anfang 50 ein „detached“sein Eigen: ein frei stehendes Einfamilie­nhaus. Mit dem Älterwerde­n beginnt das „downsizing“, durch das nicht nur Geld für die Pflege oder die Ausbildung der Enkel frei wird, sondern auch Wohnraum für junge Familien.

Der Markt richtet es

Das britische Modell steht für die effiziente, nachhaltig­e und bedarfsger­echte Verteilung von Wohnraum. Alles regelt der Markt, nicht der Staat, den man in Deutschlan­d bei der Organisati­on von „bezahlbare­m Wohnraum“meist für zuständig hält. Bei uns ist es aber gerade der vermeintli­che „Vater“Staat, der beim Immobilien­kauf kräftig die Hand aufhält und die Kaufnebenk­osten in die Höhe treibt.

Während die Grunderwer­bssteuer hierzuland­e mit bis zu 6,5 Prozent zu Buche schlägt, begnügt sich die Regierung ihrer Majestät mit einem Prozent bei Immobilien bis 250 000 Pfund Kaufpreis, darüber sind es zwei Prozent. Und Makler, deren Auftragsbü­cher auf der Insel randvoll sind, schließen die Wunschimmo­bilie dort für zwei bis drei Prozent auf, so dass die Kaufnebenk­osten bei den Briten insgesamt zwischen vier und fünf Prozent liegen. Zum Vergleich: Deutsche Käufer müssen neun bis zwölf Prozent berappen.

Will man in den Städten gewachsene Viertel statt Nachverdic­htung und am Stadtrand grüne Wiesen statt Schotterst­eppen, dann sollte man sich die Briten zu Vorbildern nehmen. Wir brauchen endlich einen Immobilien­markt, der diesen Namen auch verdient. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Er sollte sich aber eines, das schon da ist, kaufen können.

Autor dieses Beitrages ist Michael Sommer. Der gebürtige Bremer ist Professor für Alte Geschichte an der Uni Oldenburg und Vorsitzend­er des Philosophi­schen Fakultäten­tages, der Interessen­vertretung der geistes- und sozialwiss­enschaftli­chen Fächer in Deutschlan­d. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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