Von Briten lernen, heißt siegen lernen
„Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“, reimte Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht „Herbsttag“. Er konnte nicht wissen, dass der Vers genau 120 Jahre später nicht nur im Herbst, sondern rund ums Jahr Gültigkeit haben würde: Immobilien sind so unerschwinglich geworden, dass es Mittelschichtfamilien schwerfällt, darauf Tritt zu fassen, was die Engländer die „housing ladder“nennen.
Im April machte die sonst eher blässliche Bundesbauministerin Klara Geywitz mit der Bemerkung von sich reden, man müsse den massenhaften Bau von Einfamilienhäusern auf der grünen Wiese eindämmen. Im Vorfeld zum Bundestagswahlkampf 2021 hatte sich Anton Hofreiter gegen den Neubau von Einfamilienhäusern gewandt. Und bereits 2015 war Daniel Fuhrhop, im letzten Jahr gescheiterter Grünen-Kandidat für das Amt des OB in Oldenburg, mit einem Buch an die Öffentlichkeit getreten, das den so programmatischen wie provozierenden Titel trug: „Verbietet das Bauen“.
Kampf ums Einfamilienhaus
Aber ist das nicht eine schallende Ohrfeige ins Gesicht aller Familien, deren Traum das Einfamilienhaus im Grünen ist? Zementiert nicht, wer die Ausweisung neuer Baugebiete verbietet, nur die Privilegien derjenigen, die ihr Schäfchen längst im Trockenen haben? Daniel Föst, bayerischer FDP-Abgeordneter und liberaler Obmann im Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen hielt der Bauministerin prompt entgegen, sie führe „eine ideologische Debatte um den Traum vom Einfamilienhaus“.
So leicht lassen sich die Argumente von Geywitz, Hofreiter, Fuhrhop & Co. allerdings nicht entkräften. Die Einfamilienhaus-Wüsten am Rand deutscher Städte sind nicht nur ästhetisch eine Zumutung, sondern auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten kaum zu rechtfertigen. Bar jeder Infrastruktur, zwingen sie ihre Bewohner für die kleinste Erledigung ins Automobil. Sie fressen hektarweise Fläche und begraben das Grün, das die Bauherren doch angeblich suchen, unter grauem Beton und Schotter für die pflegeleichten Vorgärten.
In die Einheitsarchitektur der neuen Dutzendquartiere ziehen dann junge Familien, die es sich gerade so leisten können. Sie alle sind gleich alt und gehören derselben sozialen Schicht an. In spätestens
zwanzig Jahren ziehen die letzten Kinder aus, in dreißig Jahren sterben die ersten Männer, in vierzig Jahren werden die viel zu großen Häuser nur noch von Witwen bewohnt. Der Traum vom Haus im Grünen gerinnt zum Albtraum unorganischer Stadtentwicklung. Eine Baupolitik, die solche Desaster nicht verhindert, nützt nur Landwirten, die dank der einträglichen Fruchtfolge Wintergerste – Sommerweizen – Bauland Multimillionäre geworden sind.
Ich habe zehn Jahre in England gelebt. Auf der Insel wird kaum neu gebaut. Viele Flächen stehen unter Naturschutz, auf anderen drohen Überschwemmungen. Dennoch ist das Angebot an Häusern viel größer als hierzulande. Denn während in Deutschland der Immobilienmarkt sklerotisch ist und die Besitzer von Einfamilienhäusern meist erst auf der Bahre aus ihren vier Wänden getragen werden, begibt sich der Brite früh auf die „housing ladder“: meist per Kauf eines kleinen Reihenhauses. Läuft es gut, nennt er mit Anfang 50 ein „detached“sein Eigen: ein frei stehendes Einfamilienhaus. Mit dem Älterwerden beginnt das „downsizing“, durch das nicht nur Geld für die Pflege oder die Ausbildung der Enkel frei wird, sondern auch Wohnraum für junge Familien.
Der Markt richtet es
Das britische Modell steht für die effiziente, nachhaltige und bedarfsgerechte Verteilung von Wohnraum. Alles regelt der Markt, nicht der Staat, den man in Deutschland bei der Organisation von „bezahlbarem Wohnraum“meist für zuständig hält. Bei uns ist es aber gerade der vermeintliche „Vater“Staat, der beim Immobilienkauf kräftig die Hand aufhält und die Kaufnebenkosten in die Höhe treibt.
Während die Grunderwerbssteuer hierzulande mit bis zu 6,5 Prozent zu Buche schlägt, begnügt sich die Regierung ihrer Majestät mit einem Prozent bei Immobilien bis 250 000 Pfund Kaufpreis, darüber sind es zwei Prozent. Und Makler, deren Auftragsbücher auf der Insel randvoll sind, schließen die Wunschimmobilie dort für zwei bis drei Prozent auf, so dass die Kaufnebenkosten bei den Briten insgesamt zwischen vier und fünf Prozent liegen. Zum Vergleich: Deutsche Käufer müssen neun bis zwölf Prozent berappen.
Will man in den Städten gewachsene Viertel statt Nachverdichtung und am Stadtrand grüne Wiesen statt Schottersteppen, dann sollte man sich die Briten zu Vorbildern nehmen. Wir brauchen endlich einen Immobilienmarkt, der diesen Namen auch verdient. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Er sollte sich aber eines, das schon da ist, kaufen können.
Autor dieses Beitrages ist Michael Sommer. Der gebürtige Bremer ist Professor für Alte Geschichte an der Uni Oldenburg und Vorsitzender des Philosophischen Fakultätentages, der Interessenvertretung der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer in Deutschland. @Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de