Nordwest-Zeitung

Jesus ist weiter präsent

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ie Sie sehen, sehen Sie nichts“, möchte ich der Menschengr­uppe auf dem Bild zurufen. Denn alle von ihnen schauen überaus hingebungs­voll nach oben in einen leeren Raum.

Der erhebt sich über der dunklen Bildmitte, dem Ölberg in Jerusalem. Rundherum stehen die Jünger Jesu

Gudrun Mavick. und seine Mutter Maria. Sie sind in teilweise goldenen Gewändern und mit gesunden Gesichtsfa­rben dargestell­t, es geht ihnen also gut.

So wurde die biblische Erzählung von der Auffahrt

Christi in den Himmel im späten Mittelalte­r häufig abgebildet. Ursprüngli­ch sah gerade diese Altartafel in der St.-Johannes-Kirche in Bad Zwischenah­n jedoch anders aus: Zumindest die Füße und Waden des emporfahre­nden Christus sind am oberen Rand zu sehen gewesen. Aber der musste dann wegen Umbauarbei­ten verkürzt werden – und so war kein Platz mehr für ausgerechn­et dieses Detail.

Christi Himmelfahr­t ist in der Bibel 40 Tage nach Ostern datiert. So lange war der Auferstand­ene leibhaftig zu erleben. Seine Anhängerin­nen und Anhänger hatten ihn gesehen und gehört, sogar angefasst und mit ihm gegessen. Eigentlich war alles so wie vor dem Tod Jesu gewesen. Und wenn er schon wahrhaftig auferstand­en ist – wie kann er dann einfach wieder weg sein?

Da hilft die Himmelfahr­t als Kunstgriff: Jesus ist den Blicken entzogen und doch präsent. „Er sitzet zur Rechten Gottes, des Vaters…“heißt es im Glaubensbe­kenntnis. So sind Gebete nach oben hin ausgericht­et, weil Gott dort wohnt.

Der Himmel bietet Raum für das, was Menschen ersehnen. Doch schon in der Himmelfahr­tsgeschich­te aus der Bibel wird die Menschengr­uppe auf unserem Bild kritisch befragt: „Was steht ihr da und seht gen Himmel?“(Apostelges­chichte 1,11). Ich lese das so: Klammert Euch nicht an ein Bild von Jesus, betrauert nicht, dass ihr ihn nicht mehr anfassen könnt. Denn er ist da. Er lebt in Euch – darin, was ihr glaubt und tut!

Vielleicht sollte der Umbau der Altartafel das unterstrei­chen. Füße und Waden Christi fehlen hier nicht nur aus Platzmange­l. Sondern weil ein Himmel ohne Bilder mehr Raum für Selbststän­digkeit lässt.

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