Über „Druschba“fließt das Öl weiter
So könnte die Einigung zum Embargo gegen Russland aussehen – wenn Ungarn mitspielt
Brüssel – Die Lage im Donbass sei „kritisch“, berichtet der per Video zugeschaltete ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Staatsund Regierungschefs der EU am Montag. Umso mehr appelliert er an den Gipfel, das sechste Sanktionspaket gegen Russland endlich auf den Weg zu bringen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat es bereits am 4. Mai vorgestellt, mit einer Verabschiedung binnen Tagen gerechnet. Doch so wie geplant, wird es auch dreieinhalb Wochen später nicht kommen.
Weitere Forderungen
Das Öl entzweit die EU. In Vier-Augen-Unterredungen und großen Gesprächsrunden versuchen die Gipfelteilnehmer, auf Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban einzuwirSicherheit ken. Der stuft einen Kompromiss als „guten Ansatz“ein. Aber er legt erst einmal weitere Forderungen auf den Tisch.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat beim Eintreffen die wesentlichen Punkte aufgezählt: Die Gespräche würden mit dem Willen zur Verständigung geführt. Eine Einigung sei möglich. Deutschland leiste mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr mehr für die in Europa, die an diesem Dienstag vom Gipfel eingehend beraten wird. Und beim Ausstieg aus russischer Energie komme Deutschland „mit unglaublich großem Tempo voran“.
Trotzdem läuft das Hauptproblem im Hintergrund weiter. Denn in diesen fünf Minuten mit Scholz-Sätzen ist russisches Öl im Wert von 800 000 Euro in die EU geflossen. Orban
will in Brüssel den schwarzen Peter loswerden. Er beruft sich auf die Verständigung der Staats- und Regierungschefs beim informellen Gipfel im April in Versailles, wonach keine Vorschläge unterbreitet werden sollten, die die Energiesituation der einzelnen Mitgliedsstaaten unberücksichtigt ließen. Die von ihm nicht namentlich angesprochene von der Leyen habe es umgedreht, erst die Sanktionen auf den Tisch gelegt, dann nach Lösungen gesucht.
Eine mögliche Formulierung für die Absichtserklärung wird durchleuchtet: „Der Europäische Rat ist sich einig, dass das sechste Paket mit Sanktionen gegen Russland Erdöl sowie Erdölerzeugnisse, die aus Russland in die Mitgliedsstaaten geliefert werden, abdecken wird – mit einer vorübergehenden Ausnahme für Erdöl, das per Pipeline geliefert wird.“Damit wäre Ungarn aus der Bredouille, bezieht es sein Öl doch ausschließlich über den südlichen Strang der Druschba-Pipeline.
Bedenken, Deutschland könne mit seinem Anschluss an die Pipeline ebenfalls profitieren, versucht Scholz zu zerstreuen. Sein Land stehe hinter der Absicht, binnen sechs Monaten aus dem Öl und bis Jahresende aus Ölprodukten auszusteigen.
Schweres Fahrwasser
Doch das alles reicht Orban zunächst nicht. Er stelle sich vor, wie es um Ungarns Energiesituation bestellt wäre, wenn es durch einen „Unfall“eine Störung in der Ölleitung von Russland über die Ukraine nach Ungarn gäbe. Dann, so seine neue Forderung, wolle er Zugang zu anderen Öl-Quellen. Orban will nun sein Russen-Öl behalten – und markiert damit zunehmend schweres Fahrwasser für die EU.