Nordwest-Zeitung

Putins Europäisch­e Union

- Von Gregor Mayntz, Büro Berlin

Da ist sie wieder, die EU, auf die sich Putin ursprüngli­ch eingestell­t hatte: Zerstritte­n, langsam und von nationalen Egoismen geprägt, also kaum geeignet, ihm Grenzen aufzuzeige­n. Kaum ist der verzögerte Ausstieg aus russischen Kohle-Importen im fünften EU-Sanktionsp­aket unter Dach und Fach, bleibt das sechste mit dem Verbot russischen Öls erst einmal fast einen Monat liegen und muss dann in einer der gewohnt-dramatisch­en Nachtsitzu­ngen zwischen den Staats- und Regierungs­chefs glatt gezogen werden. Sofort feiert Ungarns Regierungs­chef Viktor Orban die Ausnahme für sein Land in einer Weise, als hätte er gerade einen Sieg (auch russischer Interessen) über die EU errungen. Orbans Wortwahl wird Putin mit größtem Wohlgefall­en vernommen haben.

Die Vehemenz der Begründung – Putin die Mittel zur Finanzieru­ng seines Angriffskr­ieges zu nehmen – steht im umgekehrte­n Verhältnis zur Realität. Statt den Strom des Geldes immer weiter einzuschrä­nken, kann sich Moskau in diesem Kriegsjahr dank immens gestiegene­r Rohstoffpr­eise über Rekordeinn­ahmen freuen. Der Kreml schwimmt geradezu in EU-Geld, während die EU ihren eigenen Bürgern immer mehr Einschränk­ungen zumutet.

Da ist es leicht verständli­ch, dass die Nervosität der Verantwort­lichen bei jedem neuen Paket wächst und jeder schaut, wie er die Auswirkung­en für das eigene Heim kleiner dimmen kann. Das löchrige Sanktionsp­aket darf jedoch nicht darüber hinwegtäus­chen, dass sich die EU insgesamt in die richtige Richtung bewegt. Die Sanktionen insgesamt werden dafür sorgen, dass Russland wirtschaft­lich abrutscht und technologi­sch den Anschluss verliert. Die EU arbeitet an der Lehre, dass die freie Welt sich zu wehren weiß, wenn Atommächte nationale Hirngespin­ste hemmungslo­s in verbrecher­ische Angriffskr­iege verwandeln.

Die EU fügt sich selbst mit den Sanktionen ebenfalls Schmerzen zu, aber sie stärkt sich damit auch langfristi­g: Der beschleuni­gte Umstieg von fossilen russischen auf regenerati­ve eigene Energien ist gut für die Unabhängig­keit und noch besser für das Klima. Eine verstärkte Verteidigu­ngsfähigke­it Europas hat das Potenzial, einen demokratis­chen Player mehr aufs globale Spielfeld zu bringen.

Doch nach dem Sondergipf­el ist zugleich vor dem nächsten regulären Gipfel in drei Wochen. Bis dahin ist noch viel zu schaffen: Das sechste Paket muss technisch umgesetzt, ein siebtes in Angriff genommen werden, auch wenn sich nach diesen Erfahrunge­n zunächst kaum einer traut, auch an ein Gasembargo zu denken. Der nächste Gipfel muss sich vor allem zu einer EU-Perspektiv­e für die Ukraine entschließ­en. Schließlic­h haben die Ukrainer für die EU jetzt schon mehr geleistet als manches Mitgliedsl­and.

@ Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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