Putins Europäische Union
Da ist sie wieder, die EU, auf die sich Putin ursprünglich eingestellt hatte: Zerstritten, langsam und von nationalen Egoismen geprägt, also kaum geeignet, ihm Grenzen aufzuzeigen. Kaum ist der verzögerte Ausstieg aus russischen Kohle-Importen im fünften EU-Sanktionspaket unter Dach und Fach, bleibt das sechste mit dem Verbot russischen Öls erst einmal fast einen Monat liegen und muss dann in einer der gewohnt-dramatischen Nachtsitzungen zwischen den Staats- und Regierungschefs glatt gezogen werden. Sofort feiert Ungarns Regierungschef Viktor Orban die Ausnahme für sein Land in einer Weise, als hätte er gerade einen Sieg (auch russischer Interessen) über die EU errungen. Orbans Wortwahl wird Putin mit größtem Wohlgefallen vernommen haben.
Die Vehemenz der Begründung – Putin die Mittel zur Finanzierung seines Angriffskrieges zu nehmen – steht im umgekehrten Verhältnis zur Realität. Statt den Strom des Geldes immer weiter einzuschränken, kann sich Moskau in diesem Kriegsjahr dank immens gestiegener Rohstoffpreise über Rekordeinnahmen freuen. Der Kreml schwimmt geradezu in EU-Geld, während die EU ihren eigenen Bürgern immer mehr Einschränkungen zumutet.
Da ist es leicht verständlich, dass die Nervosität der Verantwortlichen bei jedem neuen Paket wächst und jeder schaut, wie er die Auswirkungen für das eigene Heim kleiner dimmen kann. Das löchrige Sanktionspaket darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die EU insgesamt in die richtige Richtung bewegt. Die Sanktionen insgesamt werden dafür sorgen, dass Russland wirtschaftlich abrutscht und technologisch den Anschluss verliert. Die EU arbeitet an der Lehre, dass die freie Welt sich zu wehren weiß, wenn Atommächte nationale Hirngespinste hemmungslos in verbrecherische Angriffskriege verwandeln.
Die EU fügt sich selbst mit den Sanktionen ebenfalls Schmerzen zu, aber sie stärkt sich damit auch langfristig: Der beschleunigte Umstieg von fossilen russischen auf regenerative eigene Energien ist gut für die Unabhängigkeit und noch besser für das Klima. Eine verstärkte Verteidigungsfähigkeit Europas hat das Potenzial, einen demokratischen Player mehr aufs globale Spielfeld zu bringen.
Doch nach dem Sondergipfel ist zugleich vor dem nächsten regulären Gipfel in drei Wochen. Bis dahin ist noch viel zu schaffen: Das sechste Paket muss technisch umgesetzt, ein siebtes in Angriff genommen werden, auch wenn sich nach diesen Erfahrungen zunächst kaum einer traut, auch an ein Gasembargo zu denken. Der nächste Gipfel muss sich vor allem zu einer EU-Perspektive für die Ukraine entschließen. Schließlich haben die Ukrainer für die EU jetzt schon mehr geleistet als manches Mitgliedsland.
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