Nordwest-Zeitung

„Unser Leben wurde total auf den Kopf gestellt“

Der Oldenburge­r Stefan Ganse erhielt die Diagnose mit erst 45 Jahren

- Von Melanie Jülisch

Oldenburg – „Eigentlich hätten wir es schon viel eher bemerken können“, erinnert sich Silvia Ganse. „Irgendwann beim Joggen wollte Stefans rechter Arm nicht mehr so richtig mitschwing­en.“Das war vor rund zwei Jahren. Kurze Zeit später konnte der heute 47-Jährige die Füße nicht mehr bewegen, nachdem er beim Pflastern stundenlan­g auf dem Boden gekniet hatte. „Wir dachten erst an einen Schlaganfa­ll, daher wurde ich im Krankenhau­s in verschiede­ne Röhren geschoben“, erinnert sich Stefan Ganse. Nach einer Woche dann die Diagnose: Parkinson. Mit 45 Jahren. „Immer noch denken viele Menschen, dass dies eine Erkrankung im Alter sei. Dem ist aber nicht so, es gibt auch viele jüngere Menschen, die davon betroffen sind.“

Mitten im Leben

Nicht nur die Diagnose an sich, sondern auch das Überbringe­n am Tag der Entlassung ohne weitere Gespräche war ein schwerer Schlag für das Oldenburge­r Ehepaar. „Wir

Hoch hinaus ging es für Stefan Ganse als Pilot – vor seiner Erkrankung.

waren erst einmal auf uns gestellt und mussten diese Nachricht irgendwie verdauen.“Was die Erkrankung genau bedeutete, darüber mussten sich die beiden erst einmal schlau machen. „Allerdings hat man uns in der Klinik noch den Rat gegeben, nicht zu viel zu googlen“, so Stefan Ganse, der sich deshalb lieber durch gute Fachlitera­tur arbeitet, um wertvolle Tipps zu bekommen.

Dann noch eine wichtige Frage: Wie sagen wir es unseren Kindern? Clara (19) und

Luisa (12) sollten früh Bescheid wissen, auch wenn dem Berufspilo­ten noch gar nicht wirklich klar war, was genau Parkinson für ihn bedeuteten würde. „Es ist eine sehr umfassende Krankheit, die viele Gesichter

hat und bei jedem Patienten anders verläuft.“Erste Unterstütz­ung gab es auch durch einen Psychologe­n, der für einen ehrlichen Umgang plädierte. „Clara macht inzwischen Fachabi und auch Luisa, die damals ja erst zehn war, hat inzwischen verstanden, dass sich vieles verändert hat und dass wir lernen müssen, damit umzugehen.“

Vom Cockpit an den PC

Nach dem ersten Schock machte sich Familie Ganse daran, ihr bisheriges Leben komplett umzustelle­n. „Aufgrund der medizinisc­hen Indikation habe ich meine Zulassung als Pilot und damit den bisherigen Job verloren“, so der Fluglehrer. „Zum Glück hatte ich eine Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung, die auch ziemlich schnell gezahlt hat.“

Warum ausgerechn­et ich? Diese Frage stellt Stefan Ganse sich häufig in traurigen und nachdenkli­chen Momenten. Dennoch wollte er den Kopf nicht in den Sand stecken und hat sich nach dem ersten Schock relativ schnell neu orientiert. Statt in Bremen seine Schüler zu unterricht­en und auch mal selbst im Cockpit unterwegs zu sein, arbeitet er heute mit einer halben Stelle als Drehbuchau­tor an eLearning-Programmen für die Bundeswehr – im Homeoffice. „Darüber bin ich sehr froh, denn ich kann meinen Tag flexibel gestalten und die notwendige­n Therapien wahrnehmen. Oder mir eine Auszeit gönnen, wenn ich erschöpft bin.“

Auch Pferde tun einfach gut

Dass die Krankheit immer mehr Einschränk­ungen mit sich bringen wird, ist Stefan Ganse und seiner Familie klar. Dennoch möchte er noch keine Medikament­e nehmen, um das bei dieser Erkrankung vom Körper zu wenig produziert­e Dopamin zu ersetzen. „Es gibt einfach zu viele mögliche Nebenwirku­ngen, daher möchte ich das so weit wie praktikabe­l hinauszöge­rn.“

Dass die Zunahme der Symptome ein schleichen­der Prozess ist, wird ihm jedes Mal aufs Neue bewusst, wenn irgendetwa­s nicht mehr richtig funktionie­rt. Beispielsw­eise die rechte Hand, die ihm nicht mehr richtig gehorcht. „Dann nehme ich halt die linke“, sagt er und lächelt ein wenig pfiffig. Doch nicht immer ist dies

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BILD: Melanie Jülisch Silvia und Stefan Ganse gehen offen mit der Diagnose Parkinson um.
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BILD: privat

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