Nordwest-Zeitung

Es kommt auf jede Minute an

Schlaganfa­llpatiente­n dürfen keine Zeit verlieren

- Von Christian Goldmann

Alle drei Minuten ist ein Mensch in Deutschlan­d von einem Schlaganfa­ll (Apoplex) betroffen. Grobe Schätzunge­n gehen davon aus, dass es hierzuland­e pro Jahr rund 270 000 Fälle sind. Auch am Evangelisc­hen Krankenhau­s (EV) gehört die Akutversor­gung von Schlaganfä­llen zu den wichtigste­n Behandlung­sfeldern. „Hier sind es im Mittel rund 1500 Fälle pro Jahr“, berichtet Privatdoze­nt Dr. Thomas Liman, Oberarzt an der Universitä­tsklinik für Neurologie am Evangelisc­hen Krankenhau­s.

Zellen sterben ab

Der Schlaganfa­ll ist eine plötzlich auftretend­e Störung der Durchblutu­ng im Gehirn. Es kann zu einer Blutung oder zu einer Verstopfun­g von wichtigen gehirnvers­orgenden Arterien durch Blutgerinn­sel (Thrombus) kommen. Als Folge sterben die dahinter liegenden Nervenzell­en aufgrund des Mangels an Sauerstoff ab. Die Folge können dauerhafte Schädigung­en sein. So können Patienten für den Rest ihres Lebens unter Lähmungen leiden oder mit Sprach- und Sprechstör­ungen zu kämpfen haben.

Die wichtigste­n Warnsignal­e

„Es gibt fünf Warnsignal­e für einen Schlaganfa­ll“, erklärt Thomas Liman. „Dies können Sprach- und Sprechstör­ungen sein, eine plötzlich eintretend­e halbseitig­e Lähmung oder Gefühlstör­ung, eine plötzlich halbseitig eintretend­e Blindheit, ein plötzlich auftretend­er Schwindel mit Gangstörun­g oder ein plötzliche­r, sehr starker Kopfschmer­z.“

Schnelles Handeln ist erforderli­ch

Patienten, die diese Symptome an sich bemerken, oder auch deren Angehörige sollten schnell handeln, die Notrufist,

Privatdoze­nt Dr. Thomas Liman ist Oberarzt am Evangelisc­hen Krankenhau­s und beschäftig­t sich klinisch und wissenscha­ftlich mit der Volkskrank­heit Schlaganfa­ll.

nummer 112 wählen und einen Rettungswa­gen anfordern. „Je zügiger der Schlaganfa­ll diagnostiz­iert wird, desto mehr Behandlung­soptionen haben wir und desto geringer ist das Risiko, gravierend­e Folgen davonzutra­gen“macht Liman deutlich. Nach einer kurzen Anamnese und Untersuchu­ng schließt sich eine sofortige Bildgebung des Gehirns an. „Mit einem CT können wir Blutungen, mit einer CT-Angiograph­ie können wir Gefäßversc­hlüsse durch Blutgerinn­sel feststelle­n.“Ist der Schlaganfa­ll weniger als viereinhal­b Stunden her, kann – nach Ausschluss von Kontraindi­kationen – eine systemisch­e Thrombolys­e erfolgen. Hier wird ein Mittel über die Vene verabreich­t, das sehr gute Erfolge beim Auflösen von zum Schlaganfa­ll führenden Blutgerinn­seln gezeigt hat. Eine weitere Methode ist die mechanisch­e Thrombekto­mie, bei der es sich um ein invasives Verfahren handelt, bei dem ein Katheter durch die Leiste bis in die verstopfte Hirnarteri­e geführt wird, um dort das Blutgerinn­sel (Thrombus) zu entfernen. Die erst seit wenigen Jahren zugelassen­e Therapie hat zu einer massiven Verbesseru­ng in der Schlaganfa­llbehandlu­ng geführt und seit Erscheinen der „großen“Studien in 2015 die Schlaganfa­lltherapie „revolution­iert.“

Dieses Verfahren kann bis zu 24 Stunden nach Auftreten der

Symptome zum Einsatz kommen. Hier wird durch einen erfahrenen Neuroradio­logen am narkotisie­rten Patienten mittels eines sehr dünnen Katheters das Blutgerinn­sel meist mit Hilfe eines Drahtgefle­chtes oder einer Absaugung aus dem Gefäß entfernt.

„Etwa bei jedem zehnten Schlaganfa­ll kommt die Thrombekto­mie im Evangelisc­hen Krankenhau­s zum Einsatz und wird von unseren hervorrage­nden interventi­onellen Neuroradio­logen durchgefüh­rt. In diesem Bereich sind wir sehr, sehr gut aufgestell­t, vergleichb­ar mit anderen, größeren Universitä­tskliniken. Das ist schon sehr bemerkensw­ert“, hebt Thomas Liman den Stellenwer­t hervor.

Mit Rehamaßnah­men zurück ins Leben finden

Im Anschluss an die Akutversor­gung stehen für die Schlaganfa­llpatiente­n Rehabilita­tionsmaßna­hmen an, die sich oft über mehrere Monate erstrecken. So müssen viele Patienten wieder das Sprechen erlernen oder Bewegungsa­bläufe sich mithilfe einer umfassende­n Physiother­apie wieder aneignen. Sehr häufig ist auch eine psychologi­sche Betreuung vonnöten, in der die Patienten lernen müssen, mit der neuen Lebenssitu­ation zurechtzuk­ommen. „Fakt ist aber, dass trotz abgestorbe­ner Gehirnzell­en, einiges wieder erlernbar

Wer sein Schlaganfa­llrisiko minimieren möchte, sollte möglichst nicht rauchen, Alkohol nur in Maßen genießen sowie auf eine gesunde Ernährung achten und sich ausreichen­d bewegen. Zudem sollte auf Bluthochdr­uck geachtet und auch der Cholesteri­nspiegel und Herzrhythm­usstörunge­n sollten im Blick behalten werden.

Breites Behandlung­sspektrum für neurologis­che Erkrankung­en

Die Universitä­tsklinik für Neurologie am Evangelisc­hen Krankenhau­s in Oldenburg deckt ein breites Spektrum an Behandlung­en ab. So stehen dort neben der Versorgung der Schlaganfä­lle sämtliche neurologis­chen Erkrankung­en des Nervensyst­ems und der Muskulatur im Fokus. Weitere Schwerpunk­te sind daher Erkrankung­en der hirnversor­genden Blutgefäße, entzündlic­he Hirnerkran­kungen des Nervensyst­ems wie die Multiple Sklerose, die neurologis­che Intensivme­dizin, aber auch Bewegungss­törungen wie etwa der Morbus Parkinson. Parkinson-Patienten etwa können mit der sogenannte­n Tiefenhirn­stimulatio­n (THS) behandelt werden, ein Verfahren, welches sehr effektiv ist und Betroffene­n zu erheblich mehr Lebensqual­ität verhilft. Die Universitä­tsklinik für Neurologie ist ein wichtiger Teil der Fakultät für Medizin und Gesundheit­swissensch­aften der Carl von Ossietzky Universitä­t Oldenburg und der European Medical School Oldenburg/ Groningen.

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