Metallentfernungen – notwendige Routine oder Übertherapie?
Seit den 1960er Jahren werden Knochenbrüche in zunehmendem Maße operiert und haben die konservative Behandlung mit Gips und Extension weitgehend abgelöst. Der Vorteil der operativen Therapie liegt in der oft erreichten Übungs- oder sogar Belastungsstabilität. Dadurch kann eine schnellere Ausheilung bei besserer Funktion erreicht werden. Im weiteren Verlauf stellt sich die Frage, ob und wann das Material wieder entfernt werden sollte. Die verwendeten Implantate (Schrauben, Platten, Nägel) sind aus rostfreiem Edelstahl (V4AStahl) oder Titan gefertigt.
Als Materialien kommen Implantatstahl oder Titan zum Einsatz, wobei Titan wegen einer fehlenden Allergiebildung und einem geringerem Risiko des Infektes vorteilhaft ist.
Thesen für eine Materialentfernung:
Schmerzen sind keine grundsätzliche Indikation für eine Materialentfernung, da das Ziel der Beschwerdefreiheit nicht vorhersehbar ist. Einige Studien berichten sogar über eine Schmerzunahme nach Materialentfernung in 17 % der Fälle.
2. Allergie
In vier bis sechs Prozent der Fälle führt der Einsatz von Implantatstahl zu einer Metallallergie, die unspezifische Schmerzen auslöst. Nach der Metallentfernung nimmt der Schmerz zeitnah ab. Eine Allergiebildung bei Titan ist nicht bekannt.
3. Kanzerogenität (Fähigkeit Krebs auszulösen) Theoretisch könnten Metallionen an die DNS des Erbgutes anbinden. In der Literatur werden ca. 30 Fälle diskutiert. Eine schwedische Studie mit 117.000 Patienten ergab kein erhöhtes Tumorrisiko. Eine Materialentfernung nur wegen einer vermuteten Gefahr der Krebsentstehung ist nicht gerechtfertigt.
4. Metalldetektor
Ab einer bestimmten Größe (Endoprothesen, Platten mit mehr als 10 Löchern, intramedulläre Nägel) können z. B. bei Kontrollen am Flughafen Metalldetektoren ausgelöst werden. Dabei ist übrigens der Body-Maß-Index des Patienten unerheblich. Eine Indikation zur Metallentfernung ohne medizinische Indikation ergibt sich nicht. Hier wäre ein Implantatausweis die bessere Lösung.
5. MRT und CT
Sowohl Stahl- als auch Titanimplantate verursachen Störartefakte (Starburst-Phänomen) im MRT oder CT. CT-Geräte neuere Generationen sind in der Lage diese auf ein akzeptables Maß „herauszurechnen“. Eine wesentliche Temperaturerhöhung durch ein MRT ist bei beiden nicht zu erwarten.
6. Gelenkübergreifende Fixationen
Diese Versorgungen werden nur temporär (zeitlich begrenzt) benötigt. Beispielhaft sei hier die Stellschraubenversorgung bei Syndesmosenverletzungen am Sprunggelenk genannt. Unter meinen klinischen Lehrern herrschte immer die Meinung, dass eine Stellschraubenentfernung nach 6 Wochen wegen des Risikos des Schraubenbruches indiziert ist. Aber auch hier gibt es anscheinend keinen einheitlichen Konsens. Einige Autoren empfehlen die Stellschrauben zu belassen um die Gefahr einer Syndesmoseninstabilität zu vermeiden. Um ein eine evtl. später gebrochene Schraube entfernen zu können, raten diese die Einbringung der Stellschraube über 4 Kortizes. So könnten gebrochene Schrauben ggf. über einen medialen Zugang entfernt werden.
7. Perimplantäres Frakturrisiko
Im Übergang zwischen einem Implantat zum normalen Knochen kann es zu einem Bruch kommen. Bei Gammanägeln wird dieses Risiko mit 3,1 % angegeben, weshalb diese hüftgelenksnahen Implantate bei sonst gesunden Patienten nach ca. 18 Monaten entfernt werden sollten. Als harte Kriterien für eine Materialentfernung verbleiben das Implantatversagen, die-Infektion des Materials, eine Falschgelenkbildung oder die Weichteilkompromittierung durch das Implantat.
Thesen gegen eine Materialentfernung:
1. Refrakturrisiko
Zur Einschätzung des Risikos eines erneuten Knochenbruches nach einer Metallentfernung muss zunächst die Form der Frakturheilung betrachtet werden. Bei der direkten Knochenbruchheilung z. B. nach Kompressionsverschraubung kommt es nicht zur Kallusbildung. Bei der indirekten Knochenbruchheilung z. B. nach Nagelung oder Fixateur externe resultiert zum Teil eine ausgeprägte Kallusformation. 2. Operationsrisiko
Die Metallentfernung ist wie jeder operativer Eingriff mit möglichen Komplikationen verbunden. Das Risiko sollte im Vorfeld von einem erfahrenen Chirurgen individuell abgeschätzt werden. Kriterien gegen Materialentfernung bei zu großem Komplikationsrisiko sind Implantate am inneren Becken und Implantate an der vorderen Wirbelsäule.
Sonderfall Kinder
In den großen OP-Lehren gibt es sowohl Empfehlungen für eine generelle Materialentfernung, aber auch Empfehlungen zum Belassen der Implantate. Neben den oben genannten Risiken (knöcherne Überbauung des Implantates, Korrosion, Metallallergie und Kanzerogenität) werden die Schwierigkeiten einer evtl. späteren Behandlung einer Arthrose (Versorgung mit Endoprothesen) oder bei erneuten Frakturen angegeben.
Es gibt keine gesicherten Daten oder Studien für oder gegen eine generelle Empfehlung zur Materialentfernung bei Kindern. Eine Ausnahme bilden Implantate am Becken oder am hüftnahen Oberschenkel, da diese bei evtl. nötigen Rekonstruktionseingriffen stören könnten.
Zusammenfassung
Je länger ein Implantat verbleibt, desto besser kann sich der Knochen wieder aufbauen (Remodelling). Dieses mindert das Risiko eines erneuten Bruches. Orientierend wird eine Knochenheilungszeit von zwölf Monaten angegeben.
Wegen der möglichen Komplikationsmöglichkeiten sollte eine klare Indikation zur ME bestehen und der Eingriff gut geplant werden. Die OP ist kein Eingriff für einen chirurgischen Anfänger. Es sollte mindestens ein erfahrener Chirurg die OP begleiten.