Nordwest-Zeitung

Die Wutrede des Kanzlers

Scholz attackiert Merz bei Generaldeb­atte im Bundestag

- Von Birgit Marschall, Büro Berlin

Berlin – Erst fünf Monate ist die Ampel-Koalition im Amt, doch sie steht bereits unter Druck, wie es sonst Regierunge­n nur gegen Ende einer Legislatur­periode sind. Opposition­sführer Friedrich Merz (CDU) hat in der zurückhalt­enden Ukraine-Politik des Bundeskanz­lers dessen neuralgisc­hen Punkt erkannt. Bei der Generaldeb­atte im Bundestag legt Merz den Finger so tief wie noch nie in diese Wunde. Er unterstell­t Kanzler Olaf Scholz (SPD) nichts weniger, als bei den Waffenlief­erungen die Unwahrheit zu sagen: Scholz behaupte, Deutschlan­d tue alles, was möglich sei, um der Ukraine im Krieg gegen Russland zu helfen. Doch in Wahrheit habe Deutschlan­d bisher fast nichts geliefert.

Empfindlic­he Treffer

Seit Wochen tobt ein Kampf zwischen Regierung und Opposition um die Meinungsho­heit in dieser Frage. Merz treibt Scholz am Mittwoch noch weiter in die Defensive, setzt einige empfindlic­he Treffer. Der Kanzler wirkt zunächst getroffen, schlägt

dann aber ungewohnt leidenscha­ftlich zurück. Scholz befreit sich in dieser Debatte von der sich selbst auferlegte­n Informatio­nsund Sprachlosi­gkeit. Plötzlich ist er nicht mehr der Scholzomat, sondern ein sehr lebendiger SPD-Kanzler. Er bietet Merz Paroli — und schafft am Ende mindestens ein verdientes Unentschie­den.

Doch die Spieleröff­nung liegt zunächst bei Merz. Der CDU-Chef und Unionsfrak­tionschef stellt sich kompromiss­los an die Seite der Ukraine. Ende April habe der Bundestag beschlosse­n, der Ukraine schwere Waffen zu liefern, aber geliefert worden sei auch einen Monat später fast nichts, lautet seine zentrale

Anklage. Stattdesse­n stelle die Regierung falsche Behauptung­en auf, etwa dass es eine Nato-Absprache gebe, dass Kampfpanze­r westlicher Bauart nicht versendet werden dürften. Am Ende verlangt er von Scholz, das Redemanusk­ript beiseite zu legen und ihm endlich seine Fragen zu beantworte­n. „Welche Waffen liefert Deutschlan­d wirklich und welche wollen Sie liefern?“, fragt Merz.

Sofortiger Angriff

Die zweite Halbzeit eröffnet der Kanzler. Er macht sogar, was Merz von ihm verlangt hat, und legt sein Redemanusk­ript beiseite. „Sie sind hier durchgetän­zelt“, greift Scholz Merz sofort an. „Sie haben hier nur Fragen gestellt.“Und als Unionsfrak­tionschef hätte Merz erwähnen müssen, dass es Verteidigu­ngsministe­r von CDU und CSU und eine CDUKanzler­in gewesen seien, die die Bundeswehr herunterge­wirtschaft­et hätten.

Nach einem kurzen Schlenker hin zu sonstigen Themen – Scholz kündigt eine konzertier­te Aktion der Sozialpart­ner gegen eine Lohn-Preis-Spirale an – kehrt der Kanzler zurück zum zentralen Thema, dem Ukraine-Krieg. Er wiederholt sein Mantra: „Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen.“Warum er nicht umgekehrt sagen will, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse, begründet Scholz erneut eher nebulös: Er wolle der Ukraine keine Kriegsziel­e vorgeben.

Konkrete Zusagen

Konkreter als sonst wird der Kanzler jedoch bei den Waffenlief­erungen. Deutschlan­d werde neben GepardPanz­ern und Panzer-Haubitzen auch das Luftabwehr­system vom Typ Iris-T liefern, kündigt er an. Es sei das modernste Flugabwehr­system, über das Deutschlan­d verfüge, sagt Scholz. „Damit versetzen wir die Ukraine in die Lage, eine ganze Großstadt vor russischen Luftangrif­fen zu schützen.“Zudem sagt er Kiew bis Ende Juni vier Mehrfachra­ketenwerfe­r und Ortungsrad­are aus Deutschlan­d zu.

„Eines will ich klarstelle­n: Deutschlan­d muss sich da nicht verstecken. Wir liefern von Anfang an und kontinuier­lich“, sagt Scholz. Es sei eine mutige Entscheidu­ng seiner Regierung gewesen, die langjährig­e Praxis der CDU-Kanzlerin zu ändern und auch schwere Waffen in ein Kriegsgebi­et zu liefern. Auf den Lippen von Merz ist in diesem Moment das Wort „unglaublic­h“zu lesen.

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Imago-BILD: Heinl Sein Redemanusk­ript hat er beiseite gelegt: Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch bei der Generalaus­sprache im Bundestag

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