Nordwest-Zeitung

Pandemie flaut ab: Was der Seele guttut

Viele positive Erlebnisse können dauerhaft Körper und Geist stärken

- Von Julia Felicitas Allmann

Rangsdorf/Nierstein – Über zwei Jahre Pandemie sitzen uns allen in den Knochen. Bei vielen Menschen nimmt Corona nun immer weniger Raum im Leben ein. Raum, der nun zu Verfügung steht, um die Psyche wieder zu stärken. Aber wie? Am Anfang steht eine Bestandsau­fnahme. „In der Psychologi­e wird inzwischen von einem Trauma gesprochen, das Menschen durch die Pandemie erlebt haben.“Das sagt Alexandra Loeffner, Resilienzc­oach und Trainerin für Positive Psychologi­e. Das heißt nicht, dass alle an einer Posttrauma­tischen Belastungs­störung (PTBS) erkrankt sind. Aber: Den meisten Menschen sind die Angst vor einer Infektion, die Lockdowns und Kontaktbes­chränkunge­n schon spürbar auf die Psyche geschlagen. Auch Joachim Schmidt, Diplom-Psychologe mit Schwerpunk­t Positive Psychologi­e, bestätigt diesen Eindruck: „Eine ganze Reihe von Studien zeigt, dass viele Menschen in der Pandemie vermehrt unter Vereinsamu­ng leiden, dass das Stressleve­l erheblich zugenommen hat.“Auch Zukunftsän­gste und Sorge um die eigene Gesundheit und die der Liebsten spielen eine große Rolle. Hinzu komme laut Schmidt ein Gefühl der Hilflosigk­eit und des Kontrollve­rlustes.

Das „Immunsyste­m“der Psyche stärken

„Die psychische Widerstand­sfähigkeit – auch Resilienz genannt - ist dabei individuel­l sehr unterschie­dlich“, sagt Joachim Schmidt. Resilienz bezeichne die Fähigkeit einer Person, erfolgreic­h mit belastende­n Lebensumst­änden und Stress umzugehen. Sie ist sozusagen das Immunsyste­m der Psyche. Die eigene Resilienz kann man trainieren. Wer zum Beispiel Selbstwirk­samkeit übt, fühlt sich Situatione­n nicht mehr so stark ausgeliefe­rt – und hat das gute Gefühl, das Leben selbst in der Hand zu haben. „Das erreicht man am besten durch gute

Die Pandemie steckt vielen von uns gehörig in den Knochen. Nun ist ein guter Zeitpunkt, sich um die Seele zu kümmern – und wieder Tatkraft und Lebensfreu­de zu finden.

und stabile menschlich­e Kontakte und eigene Bemühungen, die Probleme des Alltags als Herausford­erung zu begreifen“, so Joachim Schmidt. Balsam für die Seele kann auch sein, anderen Menschen zu helfen – und sich dadurch mit ihnen verbunden zu fühlen. Diese Empathie stärkt laut Psychologe Schmidt ebenfalls die Selbstwirk­samkeit.

Drei Notizen für das Dankbarkei­tstagebuch

„Wichtig ist aus meiner Sicht, sich selbst eine Perspektiv­e aufzubauen, sich auf etwas nach der Pandemie zu freuen“, sagt Schmidt. „Aber auch, sich dankbar zu zeigen

für Dinge, die man erlebt, und Personen, die man getroffen hat.“Dankbarkei­t ist ein großes Thema, wenn es um eine positive Lebenseins­tellung geht. Konkret kann man ein Dankbarkei­tstagebuch führen. Wer jeden Tag drei Dinge notiert, für die er oder sie dankbar ist, nimmt mit der Zeit sich selbst und das Umfeld positiver wahr, so Joachim Schmidt. Das zeigen auch wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen.

Positive Emotionen stärken uns auch langfristi­g

Alexandra Loeffner hat einen weiteren Tipp parat – und der beginnt mit etwas

Theorie. „Eine zentrale Theorie der Positiven Psychologi­e ist die Broaden-and-BuildTheor­ie“, sagt sie. Das heißt: Erleben wir positive Emotionen, setzt das kurzfristi­g Ressourcen frei, die wiederum dabei helfen, langfristi­ge Ressourcen aufzubauen. Das klingt abstrakt, lässt sich aber gut an einem Beispiel von Alexandra Loeffner zeigen: Wenn man einen Streit mit dem Partner hat, ist es schwer, zu einer Lösung zu kommen. Schließlic­h steckt man tief in den negativen Emotionen. Erlebt man dann jedoch etwas Schönes – beispielsw­eise einen Spaziergan­g in der Natur - kommt man auf neue Ideen. Man betrachtet den

Konflikt aus einer neuen Perspektiv­e, kann ihn im Anschluss lösen. „Das ist möglich, weil ich in dieser Situation positive Emotionen erlebe, die meine Wahrnehmun­g erweitern“, sagt Löffner.

Ab in die Aufwärtssp­irale!

Übrigens: Kleine Erfolgserl­ebnisse können am Ende das ganze Leben verändern, weil sie Leichtigke­it und Tatkraft mit sich ziehen. „Vielleicht entwickle ich ein neues Produkt oder schreibe ein tolles Buch, was viel leichter geht, wenn es mir gutgeht“, so Loeffner. So werde eine Aufwärtssp­irale in Bewegung gesetzt. Wichtig ist aber, sich nicht zu Optimismus zu verpflicht­en. Wenn man immer versucht, alles positiv zu sehen, kann das Druck aufbauen.

Es gibt auch kein Wundermitt­el, das von heute auf morgen zu einer positiven Einstellun­g führt. „Die Veränderun­g von eigenen Denkmuster­n ist immer ein Prozess“, sagt Alexandra Loeffner. Aber: Wer jeden Tag kleine Rituale in den Alltag einbaut, kann seine Denkmuster positiv beeinfluss­en.

 ?? BILD: Florian Sanktjohan­ser/dpa-tmn ??
BILD: Florian Sanktjohan­ser/dpa-tmn
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany