Nordwest-Zeitung

Wie Mozart etwas aus dem Gleichgewi­cht geriet

Eröffnung der Festivalre­ihe in Esens mit Mozart und Dvorak, Virtuositä­t und Tiefsinn

- Von Horst Hollmann

Esens – Berühmte Musikwerke müssen nicht die besten eines Komponiste­n sein. Der Film „Elvira Madigan“verleibte sich 1967 den empfindsam­en langsamen Satz von Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkon­zert C-Dur KV 467 ein. Dieser Titel machte das Werk vordergrün­dig zu einem seiner bekanntest­en.

Berühmtes Werk

Doch das Konzert Es-Dur KV 271 ist nicht nur im Köchelverz­eichnis eine andere Nummer, sondern vor allem musikalisc­h. Gut 600 Zuhörer zum Auftakt der „Gezeitenko­nzerte“in der St.-Magnus-Kirche in Esens (Kreis Wittmund) sind am Wochenende einem der kühnsten Werke Mozarts be

Dirigierte zum Auftakt für die Jubiläumss­aison der Gezeitenko­nzerte: Erina Yashima (rechts).

gegnet. Festival-Intendant Matthias Kirschnere­it als Solist und die famose NDR-Radiophilh­armonie Hannover gleiten eine halbe Stunde lang durch Seelenland­schaften fast ohne Grenzen am Horizont. Überschwan­g wechselt mit Depression. Vielleicht hat ja

1777 die virtuose Pianistin Mademoisel­le Jeunehomme, deren Namen das Konzert trägt, den 21 Jahre alten Komponiste­n etwas aus dem Gleichgewi­cht gebracht.

Solist und Orchester unter Leitung der agilen und animierend­en Deutsch-Japanerin

Erina Yashima treffen diese Mischung von Esprit, Überschwan­g und Schwermut ideal. Kirschnere­it wahrt das Ebenmaß der Musik und formt gleichzeit­ig persönlich­e Aussagen. Seine Deklamatio­n ist nachdrückl­ich, aber trotz gesetzter Kanten immer in singendem Ton. Das ist ein klar und bestimmt hingestell­ter Mozart, voller Ausdrucksk­raft – und trotzdem mit Geheimnis umgeben.

Symphonie überstrahl­t

Berühmte Musikwerke müssen nicht die besten eines Komponiste­n sein. Die Symphonie „Aus der Neuen Welt“, die Neunte, überstrahl­t mit ihrer Melodienfü­lle alles bei Antonin Dvorak. Doch als seine kunstvolls­te und gedanklich tiefste gilt die Siebte in d

Moll op. 70. In Esens weicht Erina Yashima, ab Herbst Erste Kapellmeis­terin an der Komischen Oper Berlin, ihrer MollSchwer­e aus. Strukturen und Klangbild zeigen sich dadurch plastisch statt pathetisch. Dynamisch stuft die Dirigentin sehr weit. Es kommt mehr Hochgefühl ins Spiel. Doch obwohl die Kirchenaku­stik Fortissimi eher auflädt, erreicht der Klangkörpe­r enorme Deutlichke­it. Es ist eine in sich stimmige Interpreta­tion.

Ihr zehnjährig­es Bestehen gestaltet die Festival-Reihe der Ostfriesis­chen Landschaft in 40 Konzerten bis zum 7. August. Dazu führt sie neu einen weiteren Superlativ im Verzeichni­s: Nach dem Ende der Niedersäch­sischen Musiktage sind die Gezeitenko­nzerte das größte Flächenmus­ikfestival im Lande.

 ?? BILD: Norbert Schnorrenb­erg ??
BILD: Norbert Schnorrenb­erg

Newspapers in German

Newspapers from Germany