Nordwest-Zeitung

Serbiens Drahtseila­kt mit Weltmächte­n

Kanzler Scholz in Belgrad erwartet – Balkan-Staat will gute Geschäfte mit EU, China und Russland

- Von Gregor Mayer

Belgrad – Die Flaggen an den Lampenmast­en entlang der Belgrader Einzugsstr­aßen waren schnell gewechselt. Das Weiß-Blau-Rot aus Russland verschwand, weil Außenminis­ter Sergej Lawrow wegen des Angriffskr­iegs auf die Ukraine diese Woche keine Überflug-Erlaubnis von Serbiens Nachbarlän­dern Bulgarien, Nordmazedo­nien und Montenegro bekam und seinen Besuch absagen musste. Nun hängt Schwarz-Rot-Gold: An diesem Freitag wird Bundeskanz­ler Olaf Scholz erwartet. Das Fähnchen-Wechsel-DichSpiel könnte als Sinnbild stehen für Serbiens Außenpolit­ik unter Präsident Aleksandar Vucic.

■ Außenpolit­ik

Das Balkanland verhandelt seit 2014 über einen Beitritt zur EU und will bei der nächsten Erweiterun­gsrunde Berücksich­tigung finden. Zunicht gleich unterhält es freundscha­ftliche Beziehunge­n zu Russland und China – zwei autoritär regierten Ländern mit mehr als gespanntem Verhältnis zum Westen. Als Vetomacht im UN-Sicherheit­srat verhindert Moskau, dass das Kosovo – früher zu Serbien gehörend – volle internatio­nale Anerkennun­g erlangt. Serbien beanspruch­t das südliche Nachbarlan­d für sich.

■ EU-Strategie Doch seit Russland die Ukraine

bekriegt, verlangen westliche Partner von Belgrad, Farbe zu bekennen. „Enge Beziehunge­n zum Regime von (Wladimir) Putin sind nicht mehr vereinbar mit dem Bau einer gemeinsame­n Zukunft mit der EU“, mahnte der EUAußenbea­uftragte Josep Borrell schon letzten Monat. „Neutral zu sein ist heute mit Blick auf den Krieg in der Ukraine ein falsches Konzept.“Ohne Erfolg: Im Unterschie­d zu den anderen Staaten der Region macht Serbien bei den EU-Sanktionen weiterhin

mit. Lawrow war in Belgrad willkommen. Der Besuch scheiterte nur daran, dass die Nachbarlän­der seinem Flugzeug die Nutzung ihres Luftraums verwehrten. Lawrow hätte das wissen müssen – weshalb sich die Vermutung aufdrängt, dass sich der Russe auf ein abgekartet­es Spiel einließ, um sich über den „bösen Westen“empören zu können.

■ Innenpolit­ik

„Wir haben es nicht leicht in den westlichen Metropolen“, klagt auch Vucic. Der Druck steige, die Sanktionen zu übernehmen, auch auf ihn persönlich. „Aber wir müssen die Interessen unseres Landes schützen, auch wenn es unangenehm ist.“Doch das Problem liegt tiefer. Als machtbewus­ster Nationalis­t hat Vucic in den zehn Jahren, die er schon Serbiens Politik bestimmt, Stimmung für Russland und gegen den Westen gemacht. Die serbischen Ableger russischer Propaganda­Medien,

aber auch die von Vucic-Leuten kontrollie­rte Presse haben ein kreml-freundlich­es Meinungskl­ima erzeugt. Vucic ist jedoch Pragmatike­r genug, dass er es sich mit dem Westen nicht verscherze­n will. Einige Boulevardb­lätter dürfen sich gelegentli­ch russlandkr­itisch äußern.

■ Ziele

Letztlich versucht Vucic, mit seiner Schaukelpo­litik zwischen der EU und Russland weiter durchzukom­men. Zu dieser Einschätzu­ng gelangte auch der Auswärtige Dienst der EU in einem vertraulic­hen Papier, über das Radio Free Europe berichtete. Vucic werde „mit einer Politik der kleinen Schritte Serbien näher an den Westen heranführe­n“. „Ziel ist es, den endgültige­n Bruch mit Russland hinauszuzö­gern und mit künftigen außenpolit­ischen Manövern so viele politische und wirtschaft­liche Zugeständn­isse zu erwirken wie nur möglich.“

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Dpa-BILD: Zhumatov Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien, und Wladimir Putin (rechts), Präsident von Russland, verbindet eine lange Tradition (Foto von 2019).

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