Nordwest-Zeitung

Zu spät, zu wenig, zu selbstgere­cht

Maßnahmen gegen Inflation ungenügend – Krisen-Gewinner und -Verlierer

- Von Alexander Will, Friederike Marx Und Jörn Bender

Mit der ersten Zinserhöhu­ng seit elf Jahren reagiert die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) auf die Inflations­krise. Allerdings mit gebremstem Schaum und sehr spät: Der Rat der EZB kündigte an, im Juli die Leitzinsen im Euroraum anzuheben. Zunächst bleibt der Leitzins jedoch bei null Prozent, und die Geldflut strömt weiter in die Märkte. Banken müssen zudem weiter Strafzinse­n zahlen. Ein Ende soll es am 1. Juli jedoch mit den Anleihen-Ankauf-Programmen der EZB haben. Von ihnen profitiert­en vor allem klamme Staaten.

Schwache Reaktion

Die Reaktion der EZB ist vergleichs­weise schwach. Die US-Zentralban­k war mit Zinserhöhu­ngen sehr viel schneller und weitgehend­er. Die Inflations­rate von zuletzt 7,9 Prozent dürfte sich so nicht nachhaltig senken lassen.

Das gibt die EZB auch selbst zu: Die Notenbank rechnet in ihrer Prognose mit einem stärkeren Anstieg der Verbrauche­rpreise als im März angenommen. Demnach wird die Teuerungsr­ate in diesem Jahr bei 6,8 Prozent liegen. Im März war die EZB noch von 5,1 Prozent und im Dezember von 3,2 Prozent ausgegange­n. Bereits in der Vergangenh­eit hatte die Zentralban­k die inflationä­ren Tendenzen falsch eingeschät­zt. Noch im vergangene­n Jahr tat Präsidenti­n Christine Lagarde entspreche­nde Befürchtun­gen als unbegründe­t ab.

Schwaches Wachstum

Parallel werden die Europäer mit schwachem Wirtschaft­swachstum zu kämpfen haben. Die Wirtschaft im Euroraum wird nach der EZBVorhers­age in diesem Jahr nur um 2,8 Prozent zulegen (MärzProgno­se: 3,7 Prozent). Beides gemeinsam – Wachstumss­chwäche und hohe Inflation – gelten als Symptome schwerer Wirtschaft­skrisen.

Die Inflation im Euroraum hat die Europäisch­e Zentralban­k in den vergangene­n Jahren selbst verursacht. Durch Negativzin­sen und den Ankauf von Staatsanle­ihen hat sie den Markt mit Geld überschwem­mt, das aus dem Nichts geschaffen wurde. Damit sollte die Konjunktur angekurbel­t werden.

Dieser massiv erhöhten Geldmenge stehen immer weniger Waren und Dienstleis­tungsangeb­ote gegenüber – die Preise steigen. Verknappun­g von Rohstoff- und Energieang­eboten sowie gerissene Lieferkett­en verschärfe­n die Lage, sind jedoch nicht Ursache der Inflations­krise. Die EZB hat zudem ihr Mandat verletzt. Das besteht in der Erhaltung der Geldwertst­abilität

– nicht in Konjunktur­politik. Die Auswirkung­en auf Wirtschaft­sakteure sind bereits heute massiv:

■ Verbrauche­r: Sie können sich für einen Euro weniger leisten. Auf schnelle Entspannun­g bei den Preisen können Verbrauche­r auch im Falle einer Zinserhöhu­ng nicht hoffen. Dazu sind diese zu gering und kommen zu spät. Zudem steigen die Energiepre­ise weiter. Sorgen bereiten den Notenbanke­rn Zweitrunde­neffekte wie eine Lohn-Preis-Spirale. Steigen die Löhne als Reaktion auf die hohe Inflation zu stark, könnte das die Preise weiter nach oben treiben, weil Unternehme­n höhere Kosten entstehen, die sie an Kunden weitergebe­n müssen.

■ Sparer: Ein Ende der Negativzin­sen zeichnet sich erst ab, wenn die Notenbank den negativen Einlagensa­tz anhebt. Derzeit müssen Banken 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Viele Institute geben diese Belastung an Privatkund­en weiter. Einige Banken haben bereits ein Ende ihrer Verwahrent­gelte in Aussicht gestellt, sobald der EZB-Strafzins wegfällt. Bis Sparer wieder nennenswer­te Zinsen bekommen, dürfte es allerdings dauern.

■ Kreditnehm­er: Für sie wird es absehbar teurer. Zinserhöhu­ngen erhöhen die Kosten für Kredite und bremsen so die Nachfrage. Das hilft dabei, die Inflation zu bekämpfen. Nach Erfahrung von Verbrauche­rschützern

geben Banken steigende Zinsen an Kreditnehm­er zügig weiter.

■ Aktionäre: Jahrelang profitiert­en die Börsen von den Niedrigzin­sen und der Geldschwem­me großer Notenbanke­n. Das immer neue Geld trieb die Kurse hoch – auch bei Aktien, die in normalen Zeiten niemand gekauft hätte. Versiegt der Strom aus der GeldDrucke­rpresse, wird es zu Kurskorrek­turen kommen – die am Ende wieder realistisc­he Bewertunge­n herstellen.

■ Staat: Für den Staat wird es teurer, Geld aufzunehme­n. Die Renditen von Bundesanle­ihen sind in Erwartung einer strafferen Geldpoliti­k und eines Endes der milliarden­schweren EZB-Anleihenkä­ufe bereits gestiegen. Allerdings hat der Staat jahrelang von fast unbegrenzt­er Geldversor­gung durch die EZB profitiert – per Niedrigzin­s und AnleihenAn­kaufprogra­mmen. Zudem profitiert jetzt einzig der Staat von hohen Inflations­raten. Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW): „Weil der reale Wert der Staatsvers­chuldung mit einer Inflation weit über dem Zinssatz mit großer Geschwindi­gkeit weginflati­oniert wird.“Fazit: In der aktuellen Situation sind die einzelnen Wirtschaft­ssubjekte die Leidtragen­den, dem Staat hingegen nützt die schwierige Lage.

@ Die Autoren erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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