Zu spät, zu wenig, zu selbstgerecht
Maßnahmen gegen Inflation ungenügend – Krisen-Gewinner und -Verlierer
Mit der ersten Zinserhöhung seit elf Jahren reagiert die Europäische Zentralbank (EZB) auf die Inflationskrise. Allerdings mit gebremstem Schaum und sehr spät: Der Rat der EZB kündigte an, im Juli die Leitzinsen im Euroraum anzuheben. Zunächst bleibt der Leitzins jedoch bei null Prozent, und die Geldflut strömt weiter in die Märkte. Banken müssen zudem weiter Strafzinsen zahlen. Ein Ende soll es am 1. Juli jedoch mit den Anleihen-Ankauf-Programmen der EZB haben. Von ihnen profitierten vor allem klamme Staaten.
Schwache Reaktion
Die Reaktion der EZB ist vergleichsweise schwach. Die US-Zentralbank war mit Zinserhöhungen sehr viel schneller und weitgehender. Die Inflationsrate von zuletzt 7,9 Prozent dürfte sich so nicht nachhaltig senken lassen.
Das gibt die EZB auch selbst zu: Die Notenbank rechnet in ihrer Prognose mit einem stärkeren Anstieg der Verbraucherpreise als im März angenommen. Demnach wird die Teuerungsrate in diesem Jahr bei 6,8 Prozent liegen. Im März war die EZB noch von 5,1 Prozent und im Dezember von 3,2 Prozent ausgegangen. Bereits in der Vergangenheit hatte die Zentralbank die inflationären Tendenzen falsch eingeschätzt. Noch im vergangenen Jahr tat Präsidentin Christine Lagarde entsprechende Befürchtungen als unbegründet ab.
Schwaches Wachstum
Parallel werden die Europäer mit schwachem Wirtschaftswachstum zu kämpfen haben. Die Wirtschaft im Euroraum wird nach der EZBVorhersage in diesem Jahr nur um 2,8 Prozent zulegen (MärzPrognose: 3,7 Prozent). Beides gemeinsam – Wachstumsschwäche und hohe Inflation – gelten als Symptome schwerer Wirtschaftskrisen.
Die Inflation im Euroraum hat die Europäische Zentralbank in den vergangenen Jahren selbst verursacht. Durch Negativzinsen und den Ankauf von Staatsanleihen hat sie den Markt mit Geld überschwemmt, das aus dem Nichts geschaffen wurde. Damit sollte die Konjunktur angekurbelt werden.
Dieser massiv erhöhten Geldmenge stehen immer weniger Waren und Dienstleistungsangebote gegenüber – die Preise steigen. Verknappung von Rohstoff- und Energieangeboten sowie gerissene Lieferketten verschärfen die Lage, sind jedoch nicht Ursache der Inflationskrise. Die EZB hat zudem ihr Mandat verletzt. Das besteht in der Erhaltung der Geldwertstabilität
– nicht in Konjunkturpolitik. Die Auswirkungen auf Wirtschaftsakteure sind bereits heute massiv:
■ Verbraucher: Sie können sich für einen Euro weniger leisten. Auf schnelle Entspannung bei den Preisen können Verbraucher auch im Falle einer Zinserhöhung nicht hoffen. Dazu sind diese zu gering und kommen zu spät. Zudem steigen die Energiepreise weiter. Sorgen bereiten den Notenbankern Zweitrundeneffekte wie eine Lohn-Preis-Spirale. Steigen die Löhne als Reaktion auf die hohe Inflation zu stark, könnte das die Preise weiter nach oben treiben, weil Unternehmen höhere Kosten entstehen, die sie an Kunden weitergeben müssen.
■ Sparer: Ein Ende der Negativzinsen zeichnet sich erst ab, wenn die Notenbank den negativen Einlagensatz anhebt. Derzeit müssen Banken 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Viele Institute geben diese Belastung an Privatkunden weiter. Einige Banken haben bereits ein Ende ihrer Verwahrentgelte in Aussicht gestellt, sobald der EZB-Strafzins wegfällt. Bis Sparer wieder nennenswerte Zinsen bekommen, dürfte es allerdings dauern.
■ Kreditnehmer: Für sie wird es absehbar teurer. Zinserhöhungen erhöhen die Kosten für Kredite und bremsen so die Nachfrage. Das hilft dabei, die Inflation zu bekämpfen. Nach Erfahrung von Verbraucherschützern
geben Banken steigende Zinsen an Kreditnehmer zügig weiter.
■ Aktionäre: Jahrelang profitierten die Börsen von den Niedrigzinsen und der Geldschwemme großer Notenbanken. Das immer neue Geld trieb die Kurse hoch – auch bei Aktien, die in normalen Zeiten niemand gekauft hätte. Versiegt der Strom aus der GeldDruckerpresse, wird es zu Kurskorrekturen kommen – die am Ende wieder realistische Bewertungen herstellen.
■ Staat: Für den Staat wird es teurer, Geld aufzunehmen. Die Renditen von Bundesanleihen sind in Erwartung einer strafferen Geldpolitik und eines Endes der milliardenschweren EZB-Anleihenkäufe bereits gestiegen. Allerdings hat der Staat jahrelang von fast unbegrenzter Geldversorgung durch die EZB profitiert – per Niedrigzins und AnleihenAnkaufprogrammen. Zudem profitiert jetzt einzig der Staat von hohen Inflationsraten. Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): „Weil der reale Wert der Staatsverschuldung mit einer Inflation weit über dem Zinssatz mit großer Geschwindigkeit weginflationiert wird.“Fazit: In der aktuellen Situation sind die einzelnen Wirtschaftssubjekte die Leidtragenden, dem Staat hingegen nützt die schwierige Lage.
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