Nordwest-Zeitung

Kaum Wahlkampf, kaum Leidenscha­ft

Frankreich wählt am Sonntag das Parlament und leidet an politische­r Ödnis

- Von Rachel Boßmeyer Und Michael Evers

Wer als Tourist in diesen Tagen nach Frankreich kommt, wird kaum bemerken, dass im Nachbarlan­d am Sonntag das Parlament gewählt wird. Und den Franzosen selbst geht es kaum anders, denn der leidenscha­ftslos und auf Sparflamme geführte Wahlkampf steigert das ohnehin grassieren­de Desinteres­se. Das belegen Umfragen. Nicht mal mehr jeder Zweite will abstimmen. So viel Politikver­drossenhei­t gab es in Frankreich selten. Das Land ist gespaltene­r denn je und die Unzufriede­nheit groß.

Nur wenige Wochen ist es her, dass der liberale Präsident Emmanuel Macron mit Ach und Krach für eine zweite Amtszeit wiedergewä­hlt wurde. Zähneknirs­chend gaben auch viele von ihm enttäuscht­e und frustriert­e Wähler dem Mitte-Politiker die Stimme, um seine rechtsnati­onale Herausford­erin Marine Le Pen auszubrems­en.

Nun ist diese taktisch motivierte Unterstütz­ung aber vorbei. Dass es dieses Mal anders läuft, darauf hofft das linke Urgestein Jean-Luc Mélenchon. Bei der Präsidents­chaftswahl kam er in der ersten Runde auf beachtlich­e knapp 22 Prozent der Stimmen, flog damit aber als Drittplatz­ierter raus. „Wählt mich zum Premiermin­ister“,

wirbt seitdem Mélenchon, dem nach der Präsidents­chaftswahl der Coup gelang, die zersplitte­rte Linke mit den am Boden liegenden Sozialiste­n, Grünen und Kommuniste­n hinter sich zu vereinen.

Die Umfragen sehen dieses neue Linksbündn­is enorm im Aufwind. Erhielte es eine Mehrheit, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier dieses Lagers zu ernennen. Doch der Linke, der bemüht war, Schwung in den Wahlkampf zu bringen, trifft mit seinen Hieben ins Leere. Denn Macron verschwend­ete öffentlich kaum einen Gedanken an die Abstimmung und ließ seinen Kontrahent­en so auflaufen. Auch Beobachter bilanziere­n: Ein Wahlkampf fand quasi nicht statt.

Erst in dieser Woche brach der Präsident zu Wahlkampft­erminen vor den Toren von Paris und im Süden auf, wo er auf die Bedeutung einer „starken und klaren Mehrheit“pochte, um seine Politik voranzutre­iben.

Umfragen lassen zwar deutliche Stimmverlu­ste für Macron erwarten, der nicht mehr wie 2017 Hoffnungst­räger, sondern von fünf Jahren Amtszeit voller Krisen deutlich gezeichnet ist. Doch letztlich gehen die Umfrageins­titute davon aus, dass Macrons Lager zumindest eine relative Mehrheit im Parlament erneut schafft.

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