Kaum Wahlkampf, kaum Leidenschaft
Frankreich wählt am Sonntag das Parlament und leidet an politischer Ödnis
Wer als Tourist in diesen Tagen nach Frankreich kommt, wird kaum bemerken, dass im Nachbarland am Sonntag das Parlament gewählt wird. Und den Franzosen selbst geht es kaum anders, denn der leidenschaftslos und auf Sparflamme geführte Wahlkampf steigert das ohnehin grassierende Desinteresse. Das belegen Umfragen. Nicht mal mehr jeder Zweite will abstimmen. So viel Politikverdrossenheit gab es in Frankreich selten. Das Land ist gespaltener denn je und die Unzufriedenheit groß.
Nur wenige Wochen ist es her, dass der liberale Präsident Emmanuel Macron mit Ach und Krach für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde. Zähneknirschend gaben auch viele von ihm enttäuschte und frustrierte Wähler dem Mitte-Politiker die Stimme, um seine rechtsnationale Herausforderin Marine Le Pen auszubremsen.
Nun ist diese taktisch motivierte Unterstützung aber vorbei. Dass es dieses Mal anders läuft, darauf hofft das linke Urgestein Jean-Luc Mélenchon. Bei der Präsidentschaftswahl kam er in der ersten Runde auf beachtliche knapp 22 Prozent der Stimmen, flog damit aber als Drittplatzierter raus. „Wählt mich zum Premierminister“,
wirbt seitdem Mélenchon, dem nach der Präsidentschaftswahl der Coup gelang, die zersplitterte Linke mit den am Boden liegenden Sozialisten, Grünen und Kommunisten hinter sich zu vereinen.
Die Umfragen sehen dieses neue Linksbündnis enorm im Aufwind. Erhielte es eine Mehrheit, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier dieses Lagers zu ernennen. Doch der Linke, der bemüht war, Schwung in den Wahlkampf zu bringen, trifft mit seinen Hieben ins Leere. Denn Macron verschwendete öffentlich kaum einen Gedanken an die Abstimmung und ließ seinen Kontrahenten so auflaufen. Auch Beobachter bilanzieren: Ein Wahlkampf fand quasi nicht statt.
Erst in dieser Woche brach der Präsident zu Wahlkampfterminen vor den Toren von Paris und im Süden auf, wo er auf die Bedeutung einer „starken und klaren Mehrheit“pochte, um seine Politik voranzutreiben.
Umfragen lassen zwar deutliche Stimmverluste für Macron erwarten, der nicht mehr wie 2017 Hoffnungsträger, sondern von fünf Jahren Amtszeit voller Krisen deutlich gezeichnet ist. Doch letztlich gehen die Umfrageinstitute davon aus, dass Macrons Lager zumindest eine relative Mehrheit im Parlament erneut schafft.