Manege frei für unsichtbaren Elefanten
Ästhetik alter Hollywoodfilme mit Artistik im „Chamäleon Theater“Berlin gekonnt verknüpft
Geburtstage: Ernst Wilhelm Nay (1902-1968), deutscher Maler („Scheibenbilder“), galt während des Nationalsozialismus als „entarteter Künstler“; Gunter Gabriel (1942-2017), deutscher Schlagersänger („Hey Boss, ich brauch mehr Geld“)
Todestag: Ann Rutherford (1917-2012/Bild), US-Schauspielerin („Vom Winde verweht“)
Namenstag: Adelheid, Barnabas, Jolenta, Rosa
Alice,
Berlin – Moderne Akrobatik und der Glamour alter Hollywood-Klassiker der 1930erJahre: Ein Zirkus im Kino sozusagen. Geht das zusammen? Bestens, lautet das Urteil des Betrachters nach der glänzenden Show „Der Elefant im Raum“(„The Elefant in the room“) im „Chamäleon“in Berlin. Normalerweise besteht eine Show im Zirkus aus Nummern und Darbietungen, die aneinandergereiht und vom Direktor an- und abgekündigt werden. Das alles gibt es beim französischen „Cirque Le Roux“nicht. Nein, es gibt anders als bei einer Revue eine nachvollziehbare Handlung.
Schnuckeliger Theaterort
Die Bühne in dem schnuckeligen Hauptstadt-Theater in den Hackeschen Höfen im Bezirk Mitte wird zum Landgut von einer Miss Betty (Lina Romero erinnert in ihrer ausdrucksvollen Interpretation an Marlene Dietrich als Ikone der 30er-Jahre in Hollywood). Gefangen zwischen ihrem verzweifelten Ehemann, einem
Höchste Konzentration ist gefragt, wenn sich die Akteure des „Cirque Le Roux“in Szene setzen.
fröhlichen Trauzeugen, zwei stolpernden Butlern (köstlich!) und einem lüsternen Verehrer, schlüpft die Gastgeberin von ihrer Hochzeitsfeier in eine abgeschiedene Lounge. Im Laufe des Abends steigen Spannung, Gefühle und Emotionen der Darsteller an wie der dortige Rauch. Figuren verkrachen und versöhnen
sich wieder. Völlig übersehen wird dabei der sprichwörtliche Elefant im Raum – etwas stimmt mit der Braut nicht, man muss es nur sehen wollen.
Die Besucher im Ballsaal starren gebannt auf die Vorführungen und tauchen in eine schillernde Traumwelt ein, in der sich die Grenzen des körperlich Möglichen ebenso auflösen wie die Grenzen zwischen Realität und Fantasie auf der Kino-Leinwand.
Die Freude der sechs Darsteller bei ihren scheinbar einfachen Verdrehungen oder Verrenkungen ist ansteckend; mit viel Liebe zum Detail werden die Figuren in Szene gesetzt und wie Bilder eines Negativstreifens stimmig aneinandergefügt – alles in allem Zirkus auf höchstem Niveau.
Bestes Amüsement
Es gibt vordergründig eine pure Lust auf Amüsement, Tanzen und Musicals, um die Schrecken jeder Zeit (Totalitarismus, Weltwirtschaftskrise und Hungersnot) für ein paar Stunden zu verdrängen. Während sich draußen Weltwirtschaftskrisen und fatale politische Strömungen zusammenbrauen, werden drinnen Whiskey, Champagner und Buffetplatten gereicht.
Neben der perfekt inszenierten Clownerie liefern die Slapstick- und Comedy-Einlagen viel Anlass zum Lachen; hintergründig, aber auch viel
Nachdenkliches, so unter anderem die gesellschaftliche Haltung, die grottenschlechten Zeichen der Zeit zu ignorieren – den sprichwörtlichen „Elefanten im Raum“ums Verrecken nicht sehen zu wollen.
Wo wir bei der Erklärung des Titels der absolut sehenswerten Show wären: Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen – diesen Spruch kennt wohl jeder. Eine ähnliche Bedeutung hat die Metapher „Ein Elefant im Raum“. Ihren Ursprung hat die Redensart im 1873 erschienenen Roman „Die Dämonen“von Fjodor Dostojewski, der wiederum einen Verweis auf die Kurzgeschichte „Der Wissbegierige“von Iwan Krylow enthält (erschienen 1814). Krylow beschreibt in seiner Story einen Museumsbesucher, der sich ausschließlich auf die kleinsten Exponate fokussiert. Dabei entgeht ihm das schönste und größte Exponat, ein aufwendig präparierter Elefant.
Chamäleon Theater in den Hackeschen Höfen, Berlin, Rosenthaler Straße 40/41, bis 25. Juni, Tickets unter Tel. 030/40 00-590 @ www.chamaeleonberlin.com