Franz Werfel: Stern der Ungeborenen (1946)
In 100 000 Jahren wird man sich auf Reisen nicht mehr zu seinem Ziel bemühen müssen, sondern das Ziel wird zum Reisenden kommen. Besonders bequem dürfte das
Franz Werfels utopischem Roman „Stern der Ungeborenen“, in dem der Erzähler aus dem Jahr 1944 in eine ziemlich schräge neue Welt versetzt wird, wo es weder Krankheit noch Arbeit, weder Krieg noch Nationalität gibt, bevölkert von einem „zur kosmischen Vollbewusstheit erweckten und erzogenen Menschentum“, dessen „tiefstes Bestreben dahin ging, jeder Peinlichkeit, jedem Konflikt, jeder Anstrengung, jeder Auseinandersetzung, jeder Entscheidung, jeder ernsten Mühsal aus dem Wege zu gehen.“
Klaus Modick Bernd Eilert.
Es herrscht „eine Art und Weise des Lebens, in der alle Widerstände gegen das Schöne, Gefällige, Angenehme, Schmeichelnde gebrochen zu sein schienen.“In dieser „astromentalen“Welt gibt es jede Menge kurioser Gestalten wie etwa sprechende Hunde, aber auch unerhörte Errungenschaften und Erkenntnisse, gegen die Albert Einsteins Theorien wie Ideen aus der Steinzeit wirken. So wird beispielsweise die Antwort auf die Frage, welche Gestalt das Universum hat, enthüllt – auf Seite 407 (von insgesamt 700). Wer’s genau wissen will, muss da durch: Per aspera ad astra.
Geschrieben im kalifornischen Exil und nur knapp vor
Werfels Tod 1945 vollendet, reflektiert und kritisiert der Roman auf raffinierte Weise auch die unfriedliche Gegenwart seiner Entstehungszeit. Todernst und zugleich ironisch, tiefsinnig und hochkomisch, ebenso skurril wie genial, mithin komplett inkommensurabel, ist „Stern der Ungeborenen“zweifellos eins der wunderlichsten Werke der deutschsprachigen Literatur im 20. Jahrhundert.
Das Buch: Franz Werfel: Stern der Ungeborenen (1946). Die Kolumne „Ein Jahrhundert – 100 Bücher“erscheint nur in dieser Zeitung.