Verfolgt, verhaftet und vertrieben
Der Lebens- und Leidensweg jüdischer Werder-Mitglieder im Nationalsozialismus
Bremen – Als im Mai 1953 in Düsseldorf das erste Finale im neu geschaffenen DFB-Pokal stattfand, überreichte ein Bremer den Siegerpokal: Werder Bremens Präsident Alfred Ries (1897-1967), zugleich DFB-Vizepräsident, übergab den Pokal an das siegreiche Team von Rot-Weiss Essen mit den bekannten Namen wie Torhüter Fritz Herkenrath und Stürmer Helmut Rahn.
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Eine ganz normale FußballerEhrung? Für Ries zumindest nicht, der als Jude aus seinem Beruf gedrängt wurde und 1935 auch aus dem Verein SV Werder, dem er als Junge beigetreten war und dessen Präsident er bereits von 1923 bis 1931 gewesen war. Ries überlebte die Zeit des Nationalsozialismus in Jugoslawien, zweimal inhaftiert und mit Glück wieder freigelassen. Das Leben des Werder-Funktionärs Ries, der bis 1933 eine leitende Stellung bei Kaffee HAG innehatte und später in der Bundesrepublik im Auswärtigen Dienst Botschafter in Liberia war, ist eines der Themen der Studie „Werder im Nationalsozialismus. Lebensgeschichten jüdischer Vereinsmitglieder“(Verlag Die Werkstatt Bielefeld, 316 Seiten, 29,90 Euro). Die Arbeit der Autoren Lukas Bracht, Fabian Ettrich, Marcus Meyer, Carina Knapp-Kluge, Sabine Pamperrien und Dirk Harms hat Thomas Hafke koordiniert, der als langjähriger Fanprojektbetreuer schon über Ries veröffentlicht hatte.
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Präsident Ries
Funktionär Wolff
Ein anderer, dessen Lebensund zeitweise auch Leidenster
Alfred Ries (rechts, hier 1964 mit Werder-Spieler Max Lorenz) war vor und auch nach dem Zweiten Weltkrieg Präsident von Werder Bremen.
weg in dem Buch nachzulesen ist, ist Hansi Wolff (1913 bis 1982). Er war langjähriger Geschäftsstellenleiter sowie in Werders Profijahren Geschäftsführer und dem Verein von der Weser 53 Jahre lang eng verbunden. Er war evangelisch
getauft, galt nach der rassistischen Nazi-Lehre als „jüdischer Mischling ersten Grades“und beschrieb die Demütigungen, denen er ausgesetzt war: „Neben der beruflich-finanziellen Seite habe ich schweren seelischen Erschütterungen
standhalten müssen. Heiratsverbot, Verkehrsverbot mit Arierinnen, Gestapo-Aufsicht, Verhöre, schändliche Behandlung meiner einzigen Schwester…“, schrieb Wolff 1950 in seinem Antrag auf Anerkennung als Verfolg
des Nationalsozialismus.
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Wolffs und Ries‘ Überleben war in den Nachkriegsjahren kein öffentliches Thema, ebenso wenig wie das Schicksal des aus Wilhelmshaven stammenden und in Bremen aufgewachsenen Werderaners Leo Weinstein (1921 bis 2009), der 1938 emigrieren konnte und den Fußball mit an die kalifornische Universität Stanford nahm, wo er später Professor für Romanistik war und Trainer des Fußballteams. Trauriges Erlebnis war seine Beteiligung als Soldat der Alliierten an der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald 1945, wo drei Jahre zuvor sein Vater ermordet wurde.
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Fußballer Weinstein
Mitglied Eggert
Die Autoren haben auch das Schicksal Theodor Eggerts (Geb. 1905) beleuchtet. Er wurde ebenfalls als „Mischling“verfolgt und war nach dem Krieg am Wiederaufbau des Clubs beteiligt. Eindrucksvoll und beschämend ist die Darstellung der Versuche der Verfolgten auf Wiedergutmachung in der Studie. Eindrucksvoll, weil akribisch; beschämend, weil die Wiedergutmachungsbehörde inquisitorische Forderungen nach Belegen erhob und im Zweifel gegen sie entschied. Der Jurist Dirk Harms hat das eindrucksvoll an dem Wiedergutmachungsverfahren von Ries dokumentiert, der in der NaziZeit von Mitarbeitern des Geheimdienstes der Wehrmacht (Abwehr) gedeckt wurde. Ries wurde deshalb unterstellt, dass er mit den Nazis kollaboriert und Spitzeldienste geleistet habe. Die gründliche Auswertung Harms‘ widerlegt das.