Teure Watte für die Behaglichkeit
Christoph Schwennicke rät zu mehr Verzicht statt Wohltaten
Begonnen hatte alles mit Angst – mit Angst vor der eigenen Bevölkerung. Aufstände ähnlich jener der Gelbwesten in Frankreich wegen steigender Energiekosten infolge des Ukraine-Kriegs befürchtete schon kurz nach dem Angriff Russlands der grüne Grübler und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Und in diesem Panik-Modus wurde fortan Politik gemacht: Geschwind eine einmalige Energiepauschale von 300 Euro erfunden, eine Hopplahopp-Lösung, die einerseits alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Bedürftigkeit umfasst, zugleich strukturell eher Bedürftige wie Rentner oder Arbeitslose ausblendet, weil die Abrechnung über das Gehalt erfolgen soll.
Energie sparen
Die selbst ernannte Autofahrer-Partei FDP überkam bald darauf die Angst, dass sie das treffen könnte, was die Bild-Zeitung einmal und für immer „Benzin-Wut“getauft hat. Parteichef Christian Lindner entfleuchte die Idee eines Tankrabatts, bevor so richtig über dessen Sinn und Praktikabilität nachgedacht wurde.
Die Grünen wiederum, Partei des Öffentlichen Nahverkehrs aus Überzeugung, wollten der liberalen AutofahrerBeglückung nur zustimmen, wenn auch die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs in den Genuss eines Schnäppchens kommen würden. Das war die geistige Geburtsstunde des Neun-Euro-Tickets, das wie der Tankrabatt ebenso umgehend ausgerufen wurde, ohne sich mit der Deutschen Bahn zu Details abgestimmt zu haben.
So gesellte sich Unsinn zu Unsinn. Und weil sich, wie zu erwarten, die MineralölkonSonntagen. zerne Teile des Rabatts nun als zusätzliche Gewinne einverleiben, gebar der doppelte Unsinn noch einen dritten: die verzweifelte Idee einer sogenannten Übergewinnsteuer. Eine unausgegorene Fantasterei, das Kassemachen der Multis oder anderer Krisengewinnler mit einer Strafsteuer zu belegen.
Klar: Beinahe kostenlosen Nahverkehr und verbilligten Sprit nimmt natürlich jeder mit. Endlich mal wieder Bleifuß auf Kosten der Allgemeinheit und an den Wochenenden einen Freifahrtschein an die Ostsee oder ins Allgäu. Ist doch klasse! Wer aber einen Moment länger nachdenkt, merkt schnell, dass der Sache damit nicht gedient ist. Die Sache, das ist: massives Einsparen fossiler Energie im Allgemeinen und insbesondere aus Russland. Und diesem Ziel kommt man nur mit Verzicht näher und nicht mit Subvention von Verbrauch.
Bei mir etwa begänne das Ganze mit ästhetischem Verzicht. Denn ich gebe zu: Seit Jahren tue ich mich schwer mit der Verschandelung der Landschaft durch immer monströsere Windräder. Sie sehen einfach scheußlich aus und sind eine Zumutung für jeden mit Sinn für die Schönheit einer Kulturlandschaft.
Aber: Von diesen grässlichen Dingern müssen jetzt noch viele mehr her. Der Sonderabstand von zehnmal der Höhe des Windrades zur nächsten Siedlung muss in Bayern fallen. Die Windmühlen müssen sich in kurzer Zeit vervielfachen, zugunsten von mehr Energieautarkie.
Andere wiederum sollten vorübergehenden Verzicht auf ihre Atomkraftskepsis üben und den verbleibenden Meilern eine längere Restlaufzeit gönnen. Und zumindest die Debatte darüber ergebnisoffen aushalten, ob man die drei zum Jahreswechsel stillgelegten Meiler nicht noch mal hochfahren könnte.
Verzicht wäre auch der richtige Weg bei der Mobilität. 1973 hat die Bundesregierung nicht mit einem Tankrabatt von 30 Pfennig je Liter Sprit auf die Ölkrise reagiert. Sondern für eine begrenzte Zeit mit einem generellen Tempolimit von 100 auf den Autobahnen und vier autofreien
Dieses Mal hat Verkehrsminister Volker Wissing schon die Forderung nach Tempo 130 mit dem abstrusen Hinweis plattgemacht, dafür gebe es nicht genug Schilder. Die gab es damals auch nicht. Die braucht man auch nicht, wenn generell Tempo 100 verfügt wird. An einem autofreien Sonntag tastet man sich heute nicht einmal mehr heran. Stattdessen wird der Behaglichkeitskokon, in dem es sich diese Gesellschaft über Jahrzehnte des Überflusses gemütlich gemacht hat, künstlich mit Subventionen aufrechterhalten.
Zum Wohle aller
Mehr Verzicht hieße im Übrigen auch, bei einem Gasengpass die privaten Haushalte nicht ganz außen vor zu lassen, wie es der Gas-Notfallplan im Moment vorsieht. Auch hier kann der Verzicht jedes Einzelnen auf zwei Grad Zimmertemperatur sowie ein paar Wollsocken mehr in den Filzpuschen dabei helfen, weite Teile der Wirtschaft nicht zum Erliegen zu bringen – zum Wohle aller, am Ende.
1973, so viel steht jedenfalls fest, war man weiter als fast ein halbes Jahrhundert später. Weil die Politik damals den Mut hatte, der Bevölkerung etwas zuzumuten. Heute sorgt die Gewöhnung an RundumKomfort dafür, dass die Regierenden selbst in einer Zeit der Not mit künstlich verbilligtem Sprit und kostenlosem Nahverkehr die Bevölkerung davon abhalten, die Dimension der Lage zu erfassen und wirklichen Verzicht zu üben. Stattdessen werden Abermilliarden nicht vorhandenen Geldes dafür ausgegeben, eine wohlstandsverwöhnte Nation künstlich in Watte zu packen.
Autor dieses Beitrages ist Christoph Schwennicke. Der 56-Jährige ist als freier Autor tätig. Von 2012 bis 2021 war er Chefredakteur des politischen Magazins „Cicero“.