Darum hat Macron die besseren Chancen
Entscheidung fällt an diesem Sonntag – Viel Desinteresse in Frankreich
Paris – So gespalten wie nach der Zitterpartie bei der ersten Parlamentswahlrunde schien Frankreich selten. Vor großer Gefahr für das Land beim Sieg des jeweils anderen warnten die konkurrierenden mittigen und linken Kräfte am Montag. Erst in der Nacht stand fest, dass die Mitte-Allianz von Präsident Emmanuel Macron sich hauchdünn vor dem neuen Linksbündnis, angeführt von Jean-Luc Mélenchon, positionierte. Ein Sieg des Linksbündnisses gilt aufgrund des Wahlsystems aber als extrem unwahrscheinlich (siehe Infokasten auf dieser Seite). Auch wenn das Präsidentenlager wohl stärkste Kraft bleiben wird, ist Macrons absolute Mehrheit, und damit ein simples Durchregieren, in Gefahr. Bemerkenswert ist auch das Desinteresse vieler Wähler: Mit einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 47,51 Prozent bildeten den eigentlich größten Block am Sonntag die Nichtwähler.
■ Ergebnis
Von den 577 Sitzen der Nationalversammlung wurden in der ersten Runde nur fünf vergeben. Über alle weiteren Mandate entscheidet die Stichwahl. Die Mitte-Allianz fuhr dem vorläufigem Endergebnis zufolge landesweit 25,75 Prozent der Stimmen ein. Damit lag sie nur hauchdünn (20 000 Stimmen) vor dem Linksbündnis. Der frisch geschmiedete Zusammenschluss aus Linken, Grünen, Sozialisten und Kommunisten unter Führung des Altlinken Jean-Luc Mélenchon kam auf 25,66 Prozent.
■ Prognose Als politisch mittige Kraft ist
Macrons Bündnis nun besser platziert, Stimmen ausgeschiedener Kandidaten abzufangen, Prognosen sehen sie bei 255 bis 310 Sitzen. Sie hoffen vor allem auf bisherige Wähler der konservativen Republikaner. Diese kamen in der ersten Runde landesweit nur auf 10,42 Prozent und sind nun in vielen Stimmbezirken nicht mehr dabei. Für die Linken dürfte es deutlich schwieriger werden, andere Stimmen anzuziehen. Prognosen rechnen ihnen Chancen auf 150 bis 210 Sitze in der Nationalversammlung aus.
■ Strategie
Gleich nach den ersten Hochrechnungen zeichnete sich ab, dass beide Lager eine ähnliche Strategie fahren. Die Linken wollen von der Unzufriedenheit mit Macron profitieren, sehen sein Bündnis als gescheitert an und warnen vor „verhängnisvollen Vorhaben“. Dessen Lager wiederum ruft eindringlich dazu auf, keine Extreme zuzulassen und sich gegen Instabilität zu stellen. Premierministerin Élisabeth Borne sagte gar, Frankreichs Werte stünden auf dem Spiel: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und die Trennung von Staat und Kirche. Macron selbst äußerte sich nicht. Eine untergeordnete Rolle spielt die rechtsnationale Partei Rassemblement National von Marine Le Pen, Macrons unterlegener Gegenkandidatin bei der Präsidentenwahl.
■ Regierungsoptionen
Die Nationalversammlung ist eine von zwei Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen. Ohne Mehrheit im Parlament ist das Regieren in Frankreich schwierig. Bei Macrons Bangen um die absolute Mehrheit geht es daher auch darum, wie viele seiner Vorhaben er umsetzen kann.