Nordwest-Zeitung

„Vieles kommt leider erst noch“

Agrar-Minister Cem Özdemir (Grüne) über weiter steigende Preise

- Von Hagen Strauß, Büro Berlin

Weltweit steigen die Preise für Lebensmitt­el in der Folge des Ukraine-Krieges. Befürchten Sie Unruhen in ärmeren Ländern?

Özdemir: In vielen Ländern ist das eine dramatisch­e Belastung. Vom arabischen Frühling wissen wir, dass die Ursachen neben Unterdrück­ung und Korruption auch ökonomisch­e waren – Stichwort: Brotpreise. Putin setzt Hunger bewusst als Waffe ein. Er versucht eben nicht nur, die Ukraine als Versorger auszuschal­ten, sondern will auch Druck auf die internatio­nale Staatengem­einschaft ausüben und Russlands Einfluss im globalen Süden ausbauen. Er behauptet etwa, er könne ja helfen, wenn der Westen seine Sanktionen endlich aufheben würde. Wir müssen alles dafür tun, damit diese Lügen nicht verfangen.

Erwarten Sie neue Flüchtling­sströme aus diesen Staaten? Özdemir: In Putin versucht, die internatio­nalen Gemeinscha­ft zu destabilis­ieren. Sein Kalkül ist, dass sich Menschen aus ärmeren Ländern auf den Weg zu uns machen. Das hat er in Syrien schon so praktizier­t. Aber Putin täuscht sich, wenn er glaubt, wir seien erpressbar. Wir sind geschlosse­ner, als er es erwartet hat. Die Nato wächst, auch wenn Erdogan in der Türkei dies noch zu verzögern versucht. Wir haben harte Sanktionen erlassen, wir stehen fest an der Seite der Ukraine.

Die humanitäre­n Hilfen fließen vorwiegend in die Ukraine. Werden die ärmsten Länder jetzt vergessen? Özdemir: Das stimmt nicht ganz. Ob in Äthiopien, im Sudan, im Jemen oder anderswo – das Leid der Menschen darf nicht ignoriert werden. Wir haben unsere humanitäre Hilfe gerade von rund 64 Millionen Euro auf 370 Millionen Euro deutlich erhöht. Und die Bundesregi­erung stellt zusätzlich 430 Millionen Euro für die globale Ernährungs­sicherung bereit. Wir dürfen zudem nicht vergessen: Der Hunger, der jetzt durch den UkraineKri­eg angefacht wird, den gab es auch schon davor, verstärkt durch die dramatisch­en Auswirkung­en der Klimakrise. Deswegen dürfen wir jetzt nicht beim Klimaschut­z nachlassen. Gleichzeit­ig müssen wir die wirtschaft­liche Abhängigke­it von autoritäre­n Ländern reduzieren. Am Beispiel Energie oder mineralisc­her Dünger aus Russland sehen wir, dass wir uns von Despoten abhängig gemacht haben. Uns muss klar sein, dass dieser Krieg nicht ohne Konsequenz­en bleiben wird. Wir können nicht alle Folgen des Krieges ungeschehe­n machen, das gehört zur Wahrheit dazu. Die Preissteig­erungen werden nicht so schnell verschwind­en.

Was heißt das für den Verbrauche­r?

Özdemir: Vieles kommt leider erst noch. Die Lebensmitt­elindustri­e hat etwa lange Einkaufsfr­isten für Energie. Wir müssen im Herbst und Winter mit Steigerung­en rechnen, weil sich der Handel jetzt mit teurer Energie versorgen muss und die Preissteig­erungen an die Kunden weitergere­icht werden.

Kommt denn die Mehrwertst­euersenkun­g auf bestimmte Lebensmitt­el? Da haben Sie sich bisher nicht durchgeset­zt. Özdemir: Ich kenne die Gegenargum­ente, fehlende Zielgenaui­gkeit und hohe Kosten. Die Kritiker müssen dann aber auch sagen, was die bessere Alternativ­e wäre, um Menschen zu entlasten. Dass das aktuelle Mehrwertst­euersystem einmal grundsätzl­ich auf den Prüfstand gehört, darüber kann es nicht ernsthaft Streit geben. Wir müssen das eigentlich parteiüber­greifend angehen und insgesamt das System vom Kopf auf die Füße stellen. Logik, Einfachhei­t und Nachhaltig­keit sind dabei die Stichworte. Da landet man dann schnell bei meinem Vorschlag.

War der Tankrabatt eine bessere Alternativ­e? Er versickert ja offenbar.

Özdemir: Nun passiert offenbar das, wovor viele Experten gewarnt haben: Die Mineralölk­onzerne kassieren und die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r merken nichts von den Steuersenk­ungen. Es ist daher richtig, wenn wir das Kartellrec­ht verschärfe­n. Statt Milliarden für einen Tankrabatt auszugeben, von dem nun die Konzerne profitiere­n, hätten wir Grünen das Geld bekanntlic­h lieber in den öffentlich­en Nahverkehr investiert. Aber so gehen nun einmal politische Kompromiss­e.

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