„Vieles kommt leider erst noch“
Agrar-Minister Cem Özdemir (Grüne) über weiter steigende Preise
Weltweit steigen die Preise für Lebensmittel in der Folge des Ukraine-Krieges. Befürchten Sie Unruhen in ärmeren Ländern?
Özdemir: In vielen Ländern ist das eine dramatische Belastung. Vom arabischen Frühling wissen wir, dass die Ursachen neben Unterdrückung und Korruption auch ökonomische waren – Stichwort: Brotpreise. Putin setzt Hunger bewusst als Waffe ein. Er versucht eben nicht nur, die Ukraine als Versorger auszuschalten, sondern will auch Druck auf die internationale Staatengemeinschaft ausüben und Russlands Einfluss im globalen Süden ausbauen. Er behauptet etwa, er könne ja helfen, wenn der Westen seine Sanktionen endlich aufheben würde. Wir müssen alles dafür tun, damit diese Lügen nicht verfangen.
Erwarten Sie neue Flüchtlingsströme aus diesen Staaten? Özdemir: In Putin versucht, die internationalen Gemeinschaft zu destabilisieren. Sein Kalkül ist, dass sich Menschen aus ärmeren Ländern auf den Weg zu uns machen. Das hat er in Syrien schon so praktiziert. Aber Putin täuscht sich, wenn er glaubt, wir seien erpressbar. Wir sind geschlossener, als er es erwartet hat. Die Nato wächst, auch wenn Erdogan in der Türkei dies noch zu verzögern versucht. Wir haben harte Sanktionen erlassen, wir stehen fest an der Seite der Ukraine.
Die humanitären Hilfen fließen vorwiegend in die Ukraine. Werden die ärmsten Länder jetzt vergessen? Özdemir: Das stimmt nicht ganz. Ob in Äthiopien, im Sudan, im Jemen oder anderswo – das Leid der Menschen darf nicht ignoriert werden. Wir haben unsere humanitäre Hilfe gerade von rund 64 Millionen Euro auf 370 Millionen Euro deutlich erhöht. Und die Bundesregierung stellt zusätzlich 430 Millionen Euro für die globale Ernährungssicherung bereit. Wir dürfen zudem nicht vergessen: Der Hunger, der jetzt durch den UkraineKrieg angefacht wird, den gab es auch schon davor, verstärkt durch die dramatischen Auswirkungen der Klimakrise. Deswegen dürfen wir jetzt nicht beim Klimaschutz nachlassen. Gleichzeitig müssen wir die wirtschaftliche Abhängigkeit von autoritären Ländern reduzieren. Am Beispiel Energie oder mineralischer Dünger aus Russland sehen wir, dass wir uns von Despoten abhängig gemacht haben. Uns muss klar sein, dass dieser Krieg nicht ohne Konsequenzen bleiben wird. Wir können nicht alle Folgen des Krieges ungeschehen machen, das gehört zur Wahrheit dazu. Die Preissteigerungen werden nicht so schnell verschwinden.
Was heißt das für den Verbraucher?
Özdemir: Vieles kommt leider erst noch. Die Lebensmittelindustrie hat etwa lange Einkaufsfristen für Energie. Wir müssen im Herbst und Winter mit Steigerungen rechnen, weil sich der Handel jetzt mit teurer Energie versorgen muss und die Preissteigerungen an die Kunden weitergereicht werden.
Kommt denn die Mehrwertsteuersenkung auf bestimmte Lebensmittel? Da haben Sie sich bisher nicht durchgesetzt. Özdemir: Ich kenne die Gegenargumente, fehlende Zielgenauigkeit und hohe Kosten. Die Kritiker müssen dann aber auch sagen, was die bessere Alternative wäre, um Menschen zu entlasten. Dass das aktuelle Mehrwertsteuersystem einmal grundsätzlich auf den Prüfstand gehört, darüber kann es nicht ernsthaft Streit geben. Wir müssen das eigentlich parteiübergreifend angehen und insgesamt das System vom Kopf auf die Füße stellen. Logik, Einfachheit und Nachhaltigkeit sind dabei die Stichworte. Da landet man dann schnell bei meinem Vorschlag.
War der Tankrabatt eine bessere Alternative? Er versickert ja offenbar.
Özdemir: Nun passiert offenbar das, wovor viele Experten gewarnt haben: Die Mineralölkonzerne kassieren und die Verbraucherinnen und Verbraucher merken nichts von den Steuersenkungen. Es ist daher richtig, wenn wir das Kartellrecht verschärfen. Statt Milliarden für einen Tankrabatt auszugeben, von dem nun die Konzerne profitieren, hätten wir Grünen das Geld bekanntlich lieber in den öffentlichen Nahverkehr investiert. Aber so gehen nun einmal politische Kompromisse.