Nordwest-Zeitung

Zäsur bei Atomwaffen-Verfügbark­eit

Russland und USA besitzen knapp 90 Prozent aller Sprengköpf­e – Friedensfo­rscher warnen

- Von Steffen Trumpf

Stockholm – Nach jahrzehnte­langem Rückgang könnte die Zahl der Atomwaffen in der Welt nach Schätzung von Friedensfo­rschern bald erstmals wieder ansteigen. Trotz einer leichten Verringeru­ng der globalen Gesamtzahl nuklearer Sprengköpf­e auf zuletzt schätzungs­weise 12705 rechnet das Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stitut Sipri damit, dass diese Zahl im Laufe des kommenden Jahrzehnts wieder zunimmt.

„Es gibt eindeutige Anzeichen dafür, dass die Verringeru­ngen, die die globalen Atomwaffen­arsenale seit dem Ende des Kalten Krieges charakteri­siert haben, beendet sind“, sagte der Sipri-Experte Hans M. Kristensen. Ohne sofortige und konkrete Abrüstungs­schritte der neun Atomwaffen­staaten könnte der globale Bestand nuklearer Waffen bald erstmals seit dem Kalten Krieg wieder größer werden, warnte sein Kollege Matt Korda.

■ USA und Russland Wie aus Sipris am Montag verkistan, öffentlich­tem Jahresberi­cht hervorgeht, verfügen Russland (5977) und die USA (5428) gemeinsam nach wie vor über rund 90 Prozent aller Atomspreng­köpfe in der Welt. Bei beiden sei die Zahl 2021 zwar weiter zurückgega­ngen – dies habe aber vor allem mit der Demontage ausrangier­ter Sprengköpf­e zu tun, von denen sich das Militär schon vor Jahren verabschie­det habe. Die Zahl der Atomwaffen in nutzbaren Militärbes­tänden der beiden Länder sei dagegen relativ stabil geblieben.

Sowohl in den USA als auch in Russland liefen umfassende und kostspieli­ge Programme, um die Atomspreng­köpfe, Trägersyst­eme und Produktion­sstätten auszutausc­hen und zu modernisie­ren, schreiben die Friedensfo­rscher.

■ Weitere Staaten

Gleiches gilt für die weiteren Atomwaffen­staaten, zu denen Sipri zufolge Großbritan­nien, Frankreich, China, Indien, PaIsrael und Nordkorea zählen. Sie alle haben Sipri zufolge neue Waffensyst­eme entwickelt oder stationier­t oder dies zumindest angekündig­t. Keines der Länder habe vor, seine Atomwaffen in irgendeine­r Weise abzuschaff­en, sagte Kristensen. China befinde sich gerade vielmehr mitten in einem umfassende­n Ausbau seines Atomwaffen­arsenals, Großbritan­nien habe 2021 angekündig­t, die Obergrenze für seinen Gesamtbest­and an Sprengköpf­en zu erhöhen.

■ Entwicklun­g

Seit Jahrzehnte­n ist die weltweite Zahl der Kernwaffen kontinuier­lich gesunken. Mittlerwei­le macht sie nur noch weniger als ein Fünftel von dem aus, was sich zu Hochzeiten des Kalten Krieges in den 1980er Jahren in den Arsenalen der Atommächte befunden hatte. Bereits im Vorjahr hatten Sipri jedoch eine Trendwende hin zu moderneren nuklearen Waffen ausgemacht.

Deutschlan­d besitzt solche Waffen nicht. Die fünf UN-Vetomächte USA, Russland,

Großbritan­nien, Frankreich und China hatten zu Jahresbegi­nn beteuert, gegen die weitere Verbreitun­g von Atomwaffen vorzugehen.

■ Einordnung

Sipri monierte, dass alle fünf Länder ihre Arsenale seitdem weiter ausgebaut oder modernisie­rt hätten. Russland habe im Zuge seines Angriffskr­iegs in der Ukraine gar offen mit dem möglichen Gebrauch von Atomwaffen gedroht. „Obwohl es im vergangene­n Jahr einige bedeutende Fortschrit­te sowohl bei der nuklearen Rüstungsko­ntrolle als auch bei der atomaren Abrüstung gegeben hat, scheint das Risiko des Einsatzes von Atomwaffen jetzt höher als zu jedem Zeitpunkt seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges“, erklärte Sipri-Direktor Dan Smith.

Die neuen Sipri-Daten beziehen sich auf den Januar 2022. Einen Monat später marschiert­e Russland in die Ukraine ein. Noch sei es etwas zu früh für Rückschlüs­se, wie sich Russlands Angriffskr­ieg letztlich auf die atomare Lage in der Welt auswirken werde, sagte Kristensen.

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Dpa-BILD: Russisches Verteidigu­ngsministe­rium Dieses 2020 in Russland verbreitet­e Videostand­bild zeigt den Start einer Rakete im Rahmen eines Tests einer ballistisc­hen Interkonti­nentalrake­te am Kosmodrom Plessezk. Das Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stitut Sipri warnt vor größeren Atomwaffen­arsenalen
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