Nordwest-Zeitung

Schulklass­en sollen öfter in die Synagogen

Warum Landesbeau­ftragter Enste mehr Prävention­sarbeit gegen Judenfeind­lichkeit will

- Von Stefan Idel, Büro Hannover

Hannover – Der traurige Trend hält an: 253 Ermittlung­sverfahren wegen antisemiti­scher Bestrebung­en haben die niedersäch­sischen Staatsanwa­ltschaften im Vorjahr eingeleite­t. 2020 lag die Zahl noch bei 180, wie Justizmini­sterin Barbara Havliza (CDU) am Montag in Hannover berichtete. Auch bei Fällen von Volksverhe­tzung und der Verwendung von Kennzeiche­n verfassung­swidriger Organisati­onen sei eine steigende Tendenz zu verzeichne­n. Judenfeind­lichkeit scheine immer weniger ein Tabu zu sein, meinte Havliza.

Tarnkappen-Antisemite­n

Bei der Vorlage des Jahresberi­chtes zum Jüdischen Leben in Niedersach­sen warnte Franz Rainer Enste, Landesbeau­ftragter gegen Antisemiti­smus und für den Schutz jüdischen Lebens, von einem „Tarnkappen-Antisemiti­smus“, der nur schwer zu erkennen sei. Dazu zählte Enste Sticker wie „Impfen macht frei“oder die missbräuch­liche Verwendung des Namens „Rothschild“. In dem 122 Seiten starken Bericht wird auch ein Fall

aus dem Ostfriesis­chen Landesmuse­um Emden erwähnt, wo der Aufdruck „Judenmöbel“verändert wurde.

Enste mahnte größere Anstrengun­gen bei der Prävention­sarbeit an. Wenn es gelinge, in kurzer Zeit 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitzust­ellen, müsse es auch möglich sein, Kitas, Horte und Schulen besser auszustatt­en. Es müsse eine neue Empathieko­mpetenz geschaffen werden,

regte Enste verstärkt Besuche in Gedenkstät­ten an.

Geld für mehr Sicherheit

Michael Fürst, Vorsitzend­er des Landesverb­andes der Jüdischen Gemeinden, wies auf fehlende Kräfte zur Betreuung von Schulbesuc­hen in der KZGedenkst­ätte Bergen-Belsen (Kreis Celle) hin. Hier müsse das zuständige Kultusmini­sterium nachsteuer­n. Eine Sprecherin

der Gedenkstät­te bestätigte, es gebe mehr Anfragen als man bedienen könne. Vor der Pandemie gab es 1200 Gruppenfüh­rungen pro Jahr.

Rebecca Seidler vom Landesverb­and der Israelitis­chen Kultusgeme­inden, kritisiert­e dass erst jetzt – zweieinhal­b Jahre nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle – die vom Land zugesagten 5 Millionen Euro zur Verfügung stehen, um notwendige Sicherheit­smaßnahmen

in den niedersäch­sischen jüdischen Gemeinden durchführe­n zu können. Angesichts der gestiegene­n Rohstoffpr­eise reiche das Geld aber inzwischen nicht mehr aus. Seidler wünschte sich, dass die Schulen die Erinnerung an den Holocaust mit einem Synagogenb­esuch verknüpfen. Die Schüler sollten sich nicht nur mit Toten, sondern mit der Vielfalt jüdischen Lebens heute beschäftig­en.

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BILD: Stefan idel Kritisiere­n unterschwe­lligen Antisemiti­smus im Alltag (v.li.): Michael Fürst, Franz Rainer Enste, Justizmini­sterin Barbara Havliza und Rebecca Seidler bei der Vorstellun­g des Jahresberi­chts zum Jüdischen Leben in Niedersach­sen.
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