Ist Ukraine ab Freitag Beitrittskandidat?
Kommission gibt Einschätzung ab – Viele Staaten dafür, aber auch mehrere dagegen
Brüssel – Die Brüsseler Behörde wird empfehlen, der Ukraine den offiziellen Status eines EU-Beitrittskandidaten zu gewähren, heißt es von mehreren Beamten in Brüssel. Man sei sich der Opfer, die die Ukrainer gebracht haben, sehr bewusst und erkenne die Notwendigkeit an, ein Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu senden, lautet die Begründung.
Die Ukraine hatte im März – kurz nach dem Einfall der russischen Truppen am 24. Februar – einen Antrag auf die Aufnahme in die EU gestellt. Seitdem macht die Regierung in Kiew Druck. „Europa als Ganzes ist Ziel für Russland und die Ukraine ist nur die erste Stufe dieser aggressiven Pläne“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Wochenende. Deshalb könne eine positive Antwort auf den Mitgliedschaftsantrag eine Antwort auf die Frage sein, „ob das europäische Projekt überhaupt eine Zukunft hat“. Neben der Ukraine haben auch Georgien und Moldawien als Reaktion auf den Krieg ihre Beitrittsgesuche eingereicht.
Die EU-Länder
EU-Kommissionschefin von der Leyen mag am Wochenende bei einem Besuch in Kiew Hoffnungen geschürt haben. Am Ende aber überwacht die Brüsseler Behörde den Beitrittsprozess lediglich. Die Entscheidung, ob die Ukraine den Kandidatenstatus erhält, liegt bei den 27 Mitgliedern und muss einstimmig getroffen werden. Wenn die Staats- und Regierungschefs nächste Woche zum EU-Gipfel zusammenkommen, dürften sie sich damit befassen. Einige baltische und osteuropäische Länder, aber auch Italien oder Ir
land, setzen sich dafür ein, dass man der Ukraine rasch den Status verleiht. Andere Mitgliedstaaten, etwa die Niederlande und Frankreich, zeigen sich skeptischer, auch wenn die Vorbehalte angesichts der Lage in der Ukraine mit Vorsicht geäußert werden. EU-Diplomaten zufolge sind noch mindestens drei Länder dagegen. Die französische Regierung schlug zuletzt vor, eine „europäische politische Gemeinschaft“für die Ukraine und andere beitrittswillige Länder zu schaffen, also die Staaten in einen Nachbarschaftsrahmen aufzunehmen, ohne ihnen eine Vollmitgliedschaft zu gewähren.
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Gegenargumente
Selbst wenn derzeit kein Krieg toben würde, wäre die Ukraine
laut Beobachtern aufgrund von Korruption und teils mafiösen Strukturen nicht ausreichend vorbereitet, Teil der Union zu werden. Die Ukraine habe „viel für die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit getan, aber es müssen noch Reformen durchgeführt werden, um zum Beispiel die Korruption
zu bekämpfen oder die schon gut funktionierende Verwaltung weiter zu modernisieren“, sagte von der Leyen bei ihrer Reise. Es klang beinahe wie eine Nebensächlichkeit. Dabei steht das Land Experten zufolge vor großen Herausforderungen, bis es die sogenannten Kopenhagener Kriterien
erfüllt. Wer Mitglied der Gemeinschaft sein will, muss diese einhalten. Zu ihnen gehören unter anderem Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaftsreformen, die für eine Anpassung an den europäischen Binnenmarkt sorgen sollen.
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Deutschlands Position
Wie sich Deutschland offiziell positionieren wird, ist noch unklar. Eine Sonderprozedur aber, wie sie zunächst in der Diskussion stand, lehnt Berlin ab. Vielmehr war man in den vergangenen Wochen bemüht, die Erwartungen zu dämpfen. Zuletzt verwies Kanzler Scholz darauf, dass ein Schnellverfahren nicht fair gegenüber den sechs Ländern des westlichen Balkans wäre, die ebenfalls schon lange auf einen EU-Beitritt hoffen.
Selenskyj fordert „viel
mehr“Unterstützung: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vom Westen erheblich mehr Hilfen im Krieg gegen Russland gefordert. „Wir müssen noch viel mehr gemeinsam tun, um diesen Krieg zu gewinnen“, sagte Selenskyj der Wochenzeitung „Die Zeit“in einem am Dienstag veröffentlichten Interview. Insbesondere brauche sein Land wesentlich mehr moderne Artilleriegeschütze wie Mehrfachraketenwerfer. Zur Debatte um den Umfang der Unterstützung durch die Bundesregierung sagte er, die Lieferungen aus Deutschland seien „immer noch geringer, als sie sein könnten“.
Russische Truppen rücken im Osten der Ukraine weiter vor:
Im Osten der Ukraine haben Russlands Truppen im Gebiet Donezk nach ukrainischen Angaben weiter vorrücken können. Die russischen Angreifer hätten sich in der Siedlung Widrodschennja festgesetzt, teilte der ukrainische Generalstab am Dienstag auf Facebook mit. Zuvor habe es schweren Artilleriebeschuss auch auf die nahe gelegene Stadt Bachmut gegeben.
Steinmeier stellt sich hinter Scholz:
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) gegen die jüngste Kritik des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verteidigt. Dieser hatte im ZDF-„HeuteJournal“eine eindeutige Positionierung des Kanzlers im Ukraine-Krieg verlangt. Deutschland stehe „fest an der Seite der Ukraine, des Volkes, das überfallen worden ist durch Russland“, betonte Steinmeier am Dienstag während eines Besuchs in Singapur. Steinmeier riet dazu, den geplanten Besuch von Scholz in Kiew abzuwarten.