Nordwest-Zeitung

Schandflec­k im Club

- Von Alexander Will

Will man eine Lektion über politische Heuchelei und Doppelstan­dards erhalten, dann muss man sich an die Nato wenden. Die ist Partei im Krieg gegen einen aggressive­n, imperial handelnden Angreifer, nämlich Russland. Sie lädt diesen Krieg als epischen Kampf gegen das schwärzest­e Böse moralisch bis zum Anschlag auf – beschwicht­igt und duldet solches jedoch in den eigenen Reihen. Gemeint ist die Türkei unter dem Vierteldem­okraten Recep Tayyip Erdogan.

Dessen Sündenregi­ster ist mindestens ebenso lang wie das Wladimir Putins, seine Hände ebenso blutig und seine Pläne ebenso aggressiv. Seit Jahr und Tag besetzt die Türkei weite Teile eines fremden Landes, Syriens nämlich. Die Nato duldet das. Putin macht nichts anderes. Seit Jahr und Tag begeht die türkische Regierung nichts weniger als einen politische­n, kulturelle­n und physischen Genozid an vermeintli­ch eigenen Staatsbürg­ern – den Kurden. Die Nato duldet das. Mit Genozid-Vorwürfen gegen Russland ist man dagegen im Westen schnell bei der Hand. Seit Jahr und Tag verweigert die türkische Regierung dem größten Volk ohne eigenen Staat – eben den Kurden – Staatlichk­eit. Die Nato duldet das. Wenn aber die Ukraine Staatlichk­eit verdient – warum dann nicht Kurdistan? Seit Jahr und Tag rasselt Erdogan im östlichen Mittelmeer mit dem Säbel, formuliert Gebietsans­prüche an Griechenla­nd. Die Nato duldet das. Ähnliche Rhetorik war von Wladimir Putin vor dem Ukrainekri­eg zu hören. Man hat ihm nicht geglaubt. Das war ein schwerer Fehler. Seit 1974 besetzt die Türkei einen Teil des Territoriu­ms des EU-Mitglieds Zypern. Die Nato duldet das. Die Abspaltung der Krim und des Donbass hingegen kritisiert­e Brüssel immer lautstark.

Doch die Nato duldet nicht nur. Sie leistet der türkischen Erpresser- und Drohpoliti­k sogar Vorschub. Generalsek­retär Jens Stoltenber­g äußert Verständni­s für die türkische Blockade des schwedisch­en und finnischen Beitritts. Diese Länder wagen es, politische Sympathien für kurdische Belange nicht nur verbal zu äußern. Stoltenber­g brachte es zudem nicht über sich, das aggressive Gebaren der Ex-Kolonialma­cht Türkei gegen das bis 1829 von ihr geknechtet­e Griechenla­nd zu rügen. So ermutigt man Despoten. Das ist keine Realpoliti­k.

Nun mag man sagen, die Türkei sei an der Südostflan­ke der Nato unverzicht­bar. Das kann man so sehen. Dann sollte man aber nicht so tun, als sei sie ein Club moralisch blütenweiß­er Chorknaben, der die Rechtschaf­fenheit gepachtet hat.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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