Kriegsgefahr im Mittelmeer
Wie die Türkei den Nato-Partner Griechenland bedroht
Autor dieses Beitrages ist Ferry
Batzoglou. Er berichtet für unsere Zeitung aus Griechenland und dem östlichen Mittelmeerraum.
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Auf der griechischen Insel Kos leben etwa zweitausend muslimische Griechen, auf der Nachbarinsel Rhodos sind es ungefähr 3500, so schätzen die lokalen muslimischen Gemeinden. Das Gros der muslimischen Griechen mit rund 100 000 Personen ist jedoch in Westthrakien in Hellas’ Nordosten in den Städten Xanthi und Komotini sowie umliegenden Dörfern ansässig. Alle sind griechische Staatsbürger – und so automatisch EU-Bürger.
Minderheit als Waffe
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan instrumentalisiert die Minderheit – ganz so wie Wladimir Putin die russische in der Ukraine. „Griechenland unterdrückt weiter die türkische Minderheit in Kos, Rhodos und Westtrakien. Athen ignoriert die Werte der EU, die Menschenrechte und internationale Abkommen“, twitterte Erdogan am Donnerstag.
Doch damit nicht genug: Erdogan pochte darauf, dass die Griechen die DodekannesInselgruppe in der Ost-Ägäis, zu denen auch Kos und Rhodos gehören, entmilitarisieren. Dabei drohte er unverhohlen mit Gewalt. Die Dodekannes-Inselgruppe besteht aus zwölf Hauptinseln. Hinzu kommen 14 weitere bewohnte Inseln und eine Vielzahl kleinerer unbewohnter Inseln.
Kos, Rhodos und Co. haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Zuerst kamen die Mykener. Es folgten Hellenen, Römer, Byzantiner und Ritter. Die Türken eroberten Ende 1522 Rhodos und Anfang 1523 Kos. Die Inseln gehörten bis 1912 zum Osmanischen Reich. Dann gerieten sie unter italienische Besatzung. Sie alle gehören seit dem Januar 1948 zu Griechenland. Insgesamt leben dort gut 200 000 ständige Einwohner. Im Sommer verbringen Millionen Touristen ihren Urlaub dort.
Die griechischen Streitkräfte sind auf den DodekannesInseln präsent. Die Griechen berufen sich dabei auf das Recht zur Selbstverteidigung.
Kurz bevor Erdogan seine Tweets auf Griechisch absetzte, hatte er demonstrativ in Uniform in Izmir der Militärübung Efes 2022 beigewohnt. Für die Griechen besonders provokant: Die türkischen Streitkräfte übten an einem türkischen Strand direkt gegenüber von Samos die Einnahme eines Küstenabschnitts durch Landungstruppen.
Erdogan ließ so mit den Muskeln spielen. „Reißt euch zusammen, ich spaße nicht“, legte der Neo-Sultan in Richtung Athen verbal nach. Sein Sprecher, Ömer Celik, warnte die Griechen sogar, man werde „in der Nacht kommen“. Der ehemalige Oberbefehlshaber der griechischen Streitkräfte, Michail Kostarakos, konterte Celik mit harschen Worten: „Falls ihr in der Nacht kommt, werden euch die schwarzen Fische und das Salzwasser fressen.“Die Regierung in Athen unter dem konservativen Premier Kyriakos Mitsotakis weist die Positionen Ankaras in aller Schärfe als „völkerrechtlich unbegründet“zurück.
Wohlgemerkt: Griechenland und die Türkei traten am 18. Februar 1952 gemeinsam der Nato bei, sind somit seit über 70 Jahren in der Verteidigungsallianz. Griffe ein Drittstaat eines der Länder an, müssten die Griechen den Türken militärisch beistehen und umgekehrt.
Nun droht der Ernstfall unter Bündnispartnern. Für die Nato wäre dies an der wichtigen Südostflanke der Gau, insbesondere mit Blick auf den noch tobenden Krieg in der Ukraine, zumal sich die Türkei als Friedensstifter zu profilieren versucht. Hellas wiederum gewährt Kiew militärische und humanitäre Hilfe im großen Stil.
Die immer heftigeren Spannungen zwischen Athen und Ankara kommen nicht nur wegen des Kriegs in der Ukraine zur Unzeit. Gerade hat die für beide Länder so wichtige Reisesaison begonnen.
Georgios Filis, ein führender Experte für Geostrategie in Athen, sieht die Region „vor einem sehr schwierigen Sommer“. „Wer glaubt, die Türkei lasse sich besänftigen, der irrt gewaltig. Die Tweets von Erdogan auf Griechisch zeigen eine Vorbereitung auf militärische Aktionen“, so Filis. Mit der jetzigen politischen und militärischen Elite in der Türkei habe es „schlicht keinen Sinn zu reden“, findet er.
Zwischen Athen und Ankara schwelt schon seit Jahren ein Streit um Gas- und Ölvorkommen im östlichen Mittelmeer. Türkische Forschungsund Bohrschiffe haben griechische Gewässer durchkreuzt. Wochenlang. Die Reaktion der Griechen: protestieren. Ferner verletzen türkische Kampfjets massiv den griechischen Luftraum. Fast täglich. Die Reaktion der Griechen: mit eigenen Kampfjets abdrängen.
Bisher bleibt es zwar beim Säbelrasseln. Manche Beobachter in Athen meinen, Erdogan und Co. verschärfen aus innenpolitischen Gründen den Ton gegen die Griechen, den ewigen Erzfeind. Schließlich stünden im nächsten Jahr in der Türkei wegweisende Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an.