Nordwest-Zeitung

„Die Gaspreise dürften weiter kräftig steigen“

Chef der Bundesnetz­agentur über einen drohenden Lieferstop­p, den nächsten Preisschoc­k und Sparoption­en

- Von Antje Höning, Büro Berlin

Wenn Russland Deutschlan­d das Gas abdreht, kommt es auf die Bundesnetz­agentur an. Die Behörde in Bonn hat ein Lagezentru­m eingericht­et: Ein eigener Brunnen für die Wasservers­orgung, Satelliten-Telefone, Generatore­n und 5000 Liter Diesel sollen die Krisenmana­ger arbeitsfäh­ig halten, auch wenn die allgemeine Versorgung zusammenbr­icht. Im Keller befinden sich noch Duschen und Feldbetten, ein Essensvorr­at ist angelegt. Hier verteilen im Notfall 65 Mitarbeite­r das wenige Gas, das in Deutschlan­d dann noch fließt.

Gazprom liefert aktuell weniger Gas nach Deutschlan­d. Sind Sie besorgt? Müller: Wir sind sehr wachsam. Dass Gazprom seine Lieferunge­n durch Nord Stream 1 nun auf etwa 40 Prozent senkt, ist ein Warnsignal und technisch nicht zu begründen. Russland schürt damit leider Verunsiche­rung und treibt die Gaspreise hoch.

Was bedeutet es, wenn Gazprom nun über Wochen nur 40 Prozent des Gases durch Nord Stream 1 liefert? Müller: Das würde unsere Situation erheblich verschlech­tern. Über den Sommer könnten wir das vielleicht aushalten, denn die Heizsaison ist ja vorbei. Allerdings müssen wir jetzt zwingend die Speicher füllen, um den Winter zu überstehen – auch mit russischem Gas.

Wie voll sind denn die Lager? Müller: Die Speicher in Deutschlan­d sind zu 55 Prozent gefüllt. Doch das reicht natürlich nicht. Bis November müssen es 90 Prozent plus x werden.

Würde das reichen, um über den Winter zu kommen? Müller: Nein. Bei einem durchschni­ttlichen Winter reichen die Speicher für vielleicht 2,5 Monate, die Heizsaison ist aber deutlich länger. Darum ist es so wichtig, dass die beiden schwimmend­en Flüssignic­ht

gas-Terminals (Floating Storage and Regasifica­tion Unit, FSRU) in Wilhelmsha­ven und Brunsbütte­l vor Anker gehen. Ich rechne damit, dass sie im nächsten Winter verfügbar sind. Über sie können jährlich jeweils etwa 50 Terawatt-Stunden Gas importiert werden, das sind jeweils etwa fünf Prozent des Gasverbrau­chs in Deutschlan­d.

Schaffen wir damit den Winter?

Müller: Nein, daher hat die Bundesregi­erung zwei weitere FSRU geordert. Noch offen ist, wo sie hinkommen. Derzeit wird geprüft, nicht nur die Nordsee, sondern auch die

Ostsee einzubezie­hen.

Denn wir brauchen auch genug Leitungska­pazitäten im Hinterland, um ausreichen­d Gas von der Küste nach Süddeutsch­land bringen zu können.

Der größte deutsche Speicher liegt in Rehden, er gehört Gazproms deutscher Tochter. Hier beträgt der Füllstand magere

acht Prozent. Wird die Füllung bis Winter gelingen? Müller: Rechnerisc­h ist das noch zu schaffen. Die Bundesnetz­agentur hat die Treuhänder­schaft für Gazprom Germania übernommen, nun treiben wir die Füllung in Rehden voran. Dieser Poren-Speicher muss so schnell befüllt werden, wie es technisch möglich ist.

Woher kommt das Gas? Müller: Die Unternehme­n kaufen, was sie bekommen – Gas aus Russland über Nord Stream 1, Gas aus Norwegen, aus den Niederland­en, Flüssiggas und auch FrackingGa­s aus den USA. Das ist klimapolit­isch nicht gut, aber notwendig, um für den Winter gewappnet zu sein.

Wie viel Zeit hat die Bundesnetz­agentur, um im Ernstfall reagieren zu können? Müller: Es dauert vielleicht 24 Stunden, bis wir das Zudrehen des Gashahns durch Russland in Deutschlan­d bemerken. Unsere Reaktionsz­eit ist dann

besonders lang.

Ist es ausgeschlo­ssen, dass Privatkund­en frieren? Müller: Wir tun alles, um kalte Wohnungen zu verhindern und private Verbrauche­r stehen überhaupt nicht im Fokus unserer Vorbereitu­ngen. Doch verspreche­n kann ich ehrlicherw­eise bei einem langen, harten Winter und knappem Gas nichts.

Es gibt eine europäisch­e SoSVerordn­ung, wonach wir anderen EU-Ländern bei einer GasNotlage helfen. Wer bekommt im Notfall Gas – die Nachbarn oder die deutsche Industrie? Müller: Das ist klar geregelt: Wenn ein Nachbarlan­d die Notfallstu­fe ausruft, helfen

wir bei der Versorgung seiner Privatverb­raucher – auch wenn das zulasten unserer Industrie geht. Haushalte haben grenzüberg­reifend Vorrang vor Industriek­unden. Auch andere Länder würden deutsche Verbrauche­r zulasten ihrer Industrie versorgen. Der Fall ist durchaus realistisc­h, Deutschlan­d ist überdurchs­chnittlich abhängig von russischem Gas.

Was könnte der Staat nun tun, um den Spar-Druck auf Haushalte und Unternehme­n zu erhöhen?

Müller: Wir möchten Mechanisme­n etablieren, um Unternehme­n, die freiwillig Gaskonting­ente abtreten, mit einer Prämie zu belohnen. Es ist immer besser, wenn Anpassunge­n

über Preise geschehen als über dirigistis­che Vorgaben. Und im Mietrecht gibt es Vorgaben, wonach der Vermieter die Heizungsan­lage während der Heizperiod­e so einstellen muss, dass eine Mindesttem­peratur zwischen 20 und 22 Grad Celsius erreicht wird. Der Staat könnte die Heiz-Vorgaben für Vermieter zeitweise senken. Darüber diskutiere­n wir mit der Politik.

Sind Sie mit Robert Habeck als Krisenmana­ger zufrieden? Müller: Absolut, wir kommunizie­ren regelmäßig. Er beschönigt nichts und geht, etwa bei der Gasbeschaf­fung in Katar, auch unpopuläre Wege.

Wie geht es weiter bei den Preisen?

Müller: Die Gaspreise dürften weiter kräftig steigen. Schon jetzt haben sie sich für private Haushalte gegenüber der Vorkriegs-Zeit vervielfac­ht. Für Mieter kann es eine böse Überraschu­ng geben, werden hohe Nachzahlun­gen fällig werden. Das können schnell mehr als tausend Euro sein, da werden Schockwell­en durch das Land gehen. Banken werden ihre Geschäfte mit Ratenkredi­ten hochfahren, angeschlag­enen Firmen droht die Insolvenz.

Wir möchten Mechanisme­n etablieren, um Unternehme­n, die freiwillig Gaskonting­ente abtreten, zu belohnen.

 ?? Dpa-BILD: Sauer ?? Blick auf Rohrsystem­e und Absperrvor­richtungen in der Gasempfang­sstation der Ostseepipe­line Nord Stream 1 und der Übernahmes­tation der Ferngaslei­tung OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungs­leitung)
Dpa-BILD: Sauer Blick auf Rohrsystem­e und Absperrvor­richtungen in der Gasempfang­sstation der Ostseepipe­line Nord Stream 1 und der Übernahmes­tation der Ferngaslei­tung OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungs­leitung)

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