Nordwest-Zeitung

Die Lage für Reformen nutzen!

- Von Katrin Pribyl, Büro Brüssel

Die EU-Kommission empfiehlt, der Ukraine den offizielle­n Beitrittsk­andidatens­tatus zu verleihen und alles deutet darauf hin, dass auch die 27 Mitgliedst­aaten den Antrag aus Kiew unterstütz­en werden. Bei ihnen liegt schlussend­lich die Entscheidu­ng, vielleicht treffen sie diese sogar schon nächste Woche. So schnell ging es noch nie mit einem Land, die Ukraine darf sich freuen. Oder?

Solidaritä­t zu zeigen und dafür sogar das kostbare Gut der EU-Mitgliedsc­haft in Aussicht zu stellen, ist angesichts des anhaltende­n Kriegs ein machtvolle­s politische­s Signal aus Brüssel. Es richtet sich nicht nur nach Kiew, sondern auch nach Moskau. Die Ukraine gehört zur europäisch­en Familie und sie steht auf der Seite westlicher Werte, die die Menschen derzeit im russischem Bombenhage­l verteidige­n.

Und doch handelt es sich auch um Symbolpoli­tik, und hier liegt die Gefahr. Denn dieser eilig vollzogene Prozess könnte in einer bitteren Enttäuschu­ng für die Ukrainer enden, deren Erwartunge­n hoch sind, die aber in naher Zukunft nicht erfüllt werden können. Das Land ist kilometerw­eit davon entfernt, bereit für die Mitgliedsc­haft zu sein und es wird wohl Jahrzehnte auf die Aufnahme warten müssen.

Nicht nur die Korruption hat sich in zu vielen Ecken der Gesellscha­ft festgesetz­t, auch die Pfeiler des Rechtsstaa­ts wackeln. Hinzukommt, dass selbst vor der russischen Invasion die Wirtschaft in der Ukraine lahmte. Will die EU glaubwürdi­g, aber vor allem auch handlungsf­ähig bleiben, muss sie auf die Einhaltung ihrer strengen Regeln beharren. Jegliche Sonderbeha­ndlung wäre falsch. Jeglicher Bruch mit den eigenen Prinzipien würde außerdem zu immensem Schaden für die EU selbst führen.

Die Gemeinscha­ft sollte diesen Moment nun nutzen und im eigenen Laden aufräumen. Denn die letzten Monate mit all den Streitigke­iten um Rechtsstaa­tssünder wie Ungarn und Polen oder den Diskussion­en um ein Öl-Embargo haben wie unter dem Brennglas gezeigt: Es braucht Reformen. Zur dringendst­en Aufgabe gehört die Abschaffun­g des leidigen Einstimmig­keitsprinz­ips. Nostalgike­r mögen von einer Erweiterun­g der Gemeinscha­ft träumen, doch in der jetzigen Situation müssen Verstand und Realitätss­inn europafreu­ndliche Fantasien übertrumpf­en.

@ Die Autorin erreichen Sie unter forum@infoautor.de

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany