Die Lage für Reformen nutzen!
Die EU-Kommission empfiehlt, der Ukraine den offiziellen Beitrittskandidatenstatus zu verleihen und alles deutet darauf hin, dass auch die 27 Mitgliedstaaten den Antrag aus Kiew unterstützen werden. Bei ihnen liegt schlussendlich die Entscheidung, vielleicht treffen sie diese sogar schon nächste Woche. So schnell ging es noch nie mit einem Land, die Ukraine darf sich freuen. Oder?
Solidarität zu zeigen und dafür sogar das kostbare Gut der EU-Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen, ist angesichts des anhaltenden Kriegs ein machtvolles politisches Signal aus Brüssel. Es richtet sich nicht nur nach Kiew, sondern auch nach Moskau. Die Ukraine gehört zur europäischen Familie und sie steht auf der Seite westlicher Werte, die die Menschen derzeit im russischem Bombenhagel verteidigen.
Und doch handelt es sich auch um Symbolpolitik, und hier liegt die Gefahr. Denn dieser eilig vollzogene Prozess könnte in einer bitteren Enttäuschung für die Ukrainer enden, deren Erwartungen hoch sind, die aber in naher Zukunft nicht erfüllt werden können. Das Land ist kilometerweit davon entfernt, bereit für die Mitgliedschaft zu sein und es wird wohl Jahrzehnte auf die Aufnahme warten müssen.
Nicht nur die Korruption hat sich in zu vielen Ecken der Gesellschaft festgesetzt, auch die Pfeiler des Rechtsstaats wackeln. Hinzukommt, dass selbst vor der russischen Invasion die Wirtschaft in der Ukraine lahmte. Will die EU glaubwürdig, aber vor allem auch handlungsfähig bleiben, muss sie auf die Einhaltung ihrer strengen Regeln beharren. Jegliche Sonderbehandlung wäre falsch. Jeglicher Bruch mit den eigenen Prinzipien würde außerdem zu immensem Schaden für die EU selbst führen.
Die Gemeinschaft sollte diesen Moment nun nutzen und im eigenen Laden aufräumen. Denn die letzten Monate mit all den Streitigkeiten um Rechtsstaatssünder wie Ungarn und Polen oder den Diskussionen um ein Öl-Embargo haben wie unter dem Brennglas gezeigt: Es braucht Reformen. Zur dringendsten Aufgabe gehört die Abschaffung des leidigen Einstimmigkeitsprinzips. Nostalgiker mögen von einer Erweiterung der Gemeinschaft träumen, doch in der jetzigen Situation müssen Verstand und Realitätssinn europafreundliche Fantasien übertrumpfen.
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