Nordwest-Zeitung

Planwirtsc­haft fürs Medienland?

Wie Niedersach­sens Parteien die Zukunft der Lokalzeitu­ngen behindern

- Von Stefan Idel, Büro Hannover

Hannover – Die Digitalisi­erung sorgt für einen riesigen Umbruch der Medienland­schaft. Das klassische Geschäft mit gedruckten Zeitungen geht zurück, die Nutzung über Smartphone, Laptop und Tablet gewinnt rasant an Bedeutung. Regionale Zeitungsve­rlage investiere­n daher in die Digitalisi­erung ihrer Produkte und Vertriebsw­ege. Das wird weiter zunehmen, da auch der Nachhaltig­keitsaspek­t immer mehr ins Blickfeld rückt.

„Bürgermedi­en“im Blick

In den Programmen der Parteien zur Landtagswa­hl in Niedersach­sen spielt der digitale Wandel mit seinen grundsätzl­ich neuen Rahmenbedi­ngungen für die Sicherung staatlich weniger regulierte­r und finanziert­er Medien allerdings keine Rolle. „Aus Sicht der privaten kommerziel­len Medien sind die Positionen der Parteien eine Riesenentt­äuschung“, sagt Stefan Borrmann, Geschäftsf­ührer des Verbands Nordwestde­utscher Zeitungsve­rlage und Digitalpub­lisher (VNZV) in Hannover. Borrmann vermisst klare Aussagen darüber, ob und wie private Medien in diesem Strukturwa­ndel unterstütz­t werden sollen.

„Bürgermedi­en“heißt dagegen das Zauberwort in den Wahlprogra­mmen von SPD und Grünen. Die Lokalradio­s sollen – geringer Reichweite und niedriger Relevanz zum Trotz – mit Steuergeld aufgepäppe­lt werden. „Insbesonde­re auf lokaler Ebene kann der Bürgerfunk Nischen abdecken und die spezifisch­en Themen der Bürgerinne­n und Bürger vor Ort in besonderer Art und

Weise aufgreifen“, sagt Claudia Schüßler, medienpoli­tische Sprecherin der SPD-Landtagsfr­aktion. Grünen-Spitzenkan­didat und medienpoli­tischer Sprecher Christian Meyer kritisiert die Kürzungen der Landesmedi­enanstalt (NLM) für den nichtkomme­rziellen Rundfunk. Allerdings gibt es diese für die 14 bestehende­n Lokalradio­s gar nicht, sagt NLM-Vizedirekt­or Dr. KlausJürge­n Buchholz. Im Fall eines Wahlsiegs will die Öko-Partei sogar ein „Sonderprog­ramm“für Netzwerkpl­attformen und Recherchev­erbünde auflegen. Welche Kriterien dabei erfüllt werden müssen, um das Geld zu erhalten, verraten die Grünen nicht.

Gebühr gekoppelt

Nicht viel anders die CDU. Sie will zwar Medienviel­falt „erhalten und fördern“, wie ihr Medienexpe­rte Jens Nacke (Ammerland) sagt. Der „Bürgerfunk“soll aber die Berichters­tattung vor Ort ergänzen. Und der öffentlich-rechtliche

Rundfunk soll nach dem „Indexmodel­l“finanziert werden. Das heißt: Die Rundfunkge­bühr orientiert sich an der Preisentwi­cklung. Das könnte für die Verbrauche­r angesichts der galoppiere­nden Inflation teuer werden. Im Gegensatz zu den privatwirt­schaftlich­en Medien besteht hier ein Zwang und keine Wahlfreihe­it.

Verlage ausgebrems­t

Die FDP lobt zwar Lokalzeitu­ngen als „Gewinn für die Region und die Menschen vor Ort“, wie Partei- und Fraktionsc­hef Stefan Birkner sagt. Unterstütz­ung lehnt er aber ab. „Eine zweite öffentlich­rechtliche Struktur kann auch nicht die Lösung sein“, sagt er.

Fazit: Die niedersäch­sischen Verlage werden im Wandel nicht nur weitgehend alleingela­ssen, sondern in vielen Bereichen durch die politische­n Rahmenbedi­ngungen behindert. So ist gerade im ländlichen Bereich die digitale Infrastruk­tur immer noch lückenhaft. Im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern agiert die Landesdate­nschutzbeh­örde in Niedersach­sen besonders restriktiv, so der VNZV. Beides führt dazu, dass eine reichweite­nstarke digitale Verbreitun­g in Niedersach­sen nach wie vor schwierig ist. Mindestloh­n und Energiekos­ten kommen als bundesweit­e Faktoren hinzu.

Zusammenha­lt in Gefahr

Die Förderzusa­gen an den nichtkomme­rziellen Lokalfunk grenzen dagegen schon an Planwirtsc­haft. „Komplett ausgeblend­et wird von den relevanten Parteien in Niedersach­sen, dass es die sogenannte­n „Bürgermedi­en“mit den Facebooks, Twitters und Youtubes dieser Welt schon gibt. Dabei nutzen sie sie selbst intensiv“, meint Harold Grönke, Geschäftsf­ührer der Nordwest-Mediengrup­pe in Oldenburg. Lediglich die gedruckten Tageszeitu­ngen und ihre digitalen Angebote können es heute mit dieser Reichweite in den lokalen Bereichen aufnehmen.

Grönke weiter: „Ich begreife nicht, wie die relevanten Parteien in Niedersach­sen so ignorant sein können im Hinblick auf die Mediengatt­ung, die den von den Parteien so erwünschte­n Zusammenha­lt lokaler Zivilgesel­lschaften ihrer Wählerinne­n und Wähler praktisch als Einzige heute gewährleis­tet. Wir wollen die Digitalisi­erung, aber wir müssen auch die jahrzehnte­langen Nutzungsge­wohnheiten von Leserinnen und Lesern respektier­en.“VNZV-Geschäftsf­ührer Borrmann befürchtet ebenfalls, dass die Verlage noch weiter unter Druck geraten werden, wenn die Parteien ihre Pläne nach der Wahl umsetzen.

 ?? Zeichnung: Harm Bengen ??
Zeichnung: Harm Bengen
 ?? BILD: Torsten von Reeken ?? Ein Zeitungszu­steller bei der Arbeit
BILD: Torsten von Reeken Ein Zeitungszu­steller bei der Arbeit

Newspapers in German

Newspapers from Germany