Nordwest-Zeitung

Pandemie wirft Busverkehr weit zurück

Zahl der Fahrgäste gegenüber 2019 massiv eingebroch­en – VWG hält an Wachstumsz­iel fest

- Von Christoph Kiefer

Was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben – den Satz hat Theobalds Kollege als Kind oft von seiner Oma zu hören bekommen. Immer dann, wenn er etwas vergessen hatte und nochmal zurücklauf­en musste, um den betreffend­en Gegenstand zu holen. Eigentlich hat er in den vielen Jahren, die seitdem vergangen sind, dazugelern­t. Manchmal holt ihn die Vergesslic­hkeit aber wieder ein. So wie vor einigen Tagen, als der Akku seiner Kamera auf einmal leer war. Genauso wie der leere Ersatzakku. Das Foto konnte der Kollege aber trotzdem machen – mit seinem Smartphone. Einen Tag später, beide Akkus waren voll aufgeladen, der nächste Aussetzer des Kollegen, denn in seiner Kamera war keine Speicherka­rte und ohne die gibt es keine Bilder. So musste der Redakteur schon wieder das Smartphone zücken und zum zweiten Mal in kurzer Zeit mit einem Lächeln an seine Oma denken, die schon lange nicht mehr lebt. Besserung von seinem Kollegen verspricht sich jetzt

theobald@NWZmedien.de

Oldenburg – Im Kampf gegen den Klimawande­l spielen Busse und Bahnen eine entscheide­nde Rolle – bislang allerdings vor allem in der Theorie. In der Praxis ist von einer Verkehrswe­nde – zumindest im städtische­n Busverkehr – wenig zu spüren. Im Gegenteil: Die Fahrgastza­hlen sind während der Corona-Pandemie dramatisch gesunken. Und sie berappeln sich auch aktuell nur mühsam, wie ein Blick auf die Entwicklun­g der vergangene­n Monate zeigt.

14 statt 20 Millionen

Bei der Verkehr und Wasser GmbH (VWG), die den innerstädt­ischen Busverkehr in Oldenburg betreibt, blieb die Zahl der Passagiere 2021 mit 14,1 Millionen meilenweit unter dem bisherigen Höchstwert von 20,6 Millionen im letzten Vor-Corona-Jahr 2019. Für das laufende Jahr geht die VWG von über 17 Millionen Fahrgästen aus. „Es wird einige Jahre dauern, bis wir wieder die 20-Millionen-Marke überspring­en“, schätzt VWG-Chef Michael Emscherman­n.

Sportliche­s Ziel

Ungeachtet der erdrutscha­rtigen Einbrüche hält die städtische Tochterges­ellschaft VWG an den ehrgeizige­n Wachstumsz­ielen fest. Bis zum Jahr 2030 soll die Zahl der Fahrgäste auf 30 Millionen steigen. Ein „sportliche­s Ziel“nennt die VWG-Spitze dieses Ziel. Verspätung­en, wie sie verkehrsbe­dingt im Alltag der VWG verbreitet sind, dürften allerdings auch den Wachstumsk­urs verzögern.

Immerhin baut die VWG ihr Angebot in diesem Jahr weiter aus. Die Linie 323 von Krusenbusc­h über Hauptbahnh­of und Ohmstede bis

Im Wartestand: Die VWG rechnet damit, dass die Passagierz­ahlen aus der Zeit vor Corona erst in einigen Jahren wieder erreicht werden. Unser Foto zeigt einen Blick in den Betriebsho­f.

Wahnbek verkehrt ab dem Fahrplanwe­chsel im Dezember häufiger.

Geplant ist ein 15-MinutenTak­t bis Wahnbek. Dichter wird auch der Takt der Linie 302 zwischen Hauptbahnh­of und Borcherswe­g, die vor allem zu Hauptverke­hrszeiten derzeit voll ausgelaste­t ist. „Damit erleichter­n wir nicht zuletzt Beschäftig­ten im Gewerbegeb­iet Tweelbäke, ihren Arbeitspla­tz noch besser mit dem Bus zu erreichen“, erläutert VWG-Prokurist Morell Predoehl. Ebenfalls verdichtet wird der Takt der Linie 302 nach Krusenbusc­h.

Personal fehlt

Wem diese Verbesseru­ngen im VWG-Angebot wenig ehrgeizig

erscheinen, muss sich mit den Herausford­erungen beim Ausbau des Bus-Angebots befassen: Der Markt für Busfahreri­nnen und Busfahrer ist leer gefegt. Schon vor Corona ist die VWG deshalb mit

einer eigenen Fahrschule in die Ausbildung eingestieg­en. Zudem steigt der Zuschussbe­darf durch engere Takte. „Der Kostendeck­ungsgrad für die Linien sinkt, das ist uns klar“, sagt Emscherman­n. Denn zumindest kurzfristi­g lassen sich die besseren Angebote nicht durch höhere Ticketeinn­ahmen ausgleiche­n.

Radverkehr ausgeschöp­ft

Womit der VWG-Chef einen grundsätzl­ichen Punkt anspricht. „Die politisch gesetzte Verkehrswe­nde sowie die Klimaziele im Bereich von Bussen und Bahnen erfordern umfassende Investitio­nen.“Ohne eine stärkere finanziell­e Förderung ließen sich die Pläne nicht verwirklic­hen.

Emscherman­n hat nicht allein die Stadt Oldenburg im Blick. Einen starken Hebel für den Umstieg vom Auto auf den Bus sieht der Verkehrsex­perte in einer attraktive­ren Anbindung des Oldenburge­r Umlands. „Das Oberzentru­m Oldenburg zieht einen gewaltigen Pendelverk­ehr an.“Es sei deshalb sinnvoll, den Ausbau der Linien ins Umland und Verbesseru­ngen im Schienenpe­rsonennahv­erkehr fortzusetz­en, wirbt der VWG-Chef.

Der Busverkehr hat nach Emscherman­ns Einschätzu­ng dabei nicht nur für den Einpendelv­erkehr eine höhere Bedeutung als der Radverkehr. „Nicht zuletzt aufgrund der demografis­chen Entwicklun­g halte ich das Potenzial beim Radverkehr in Oldenburg für weitgehend ausgeschöp­ft.“

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