Kassel bereitet Zeichner eine Weltbühne
Horst Janssen zeigt 14 Werke auf der documenta 6 – Kritischer Dialog mit Alten Meistern
1927 Der „Nürburgring“in der Eifel wird eröffnet. Am nächsten Tag gewinnt der deutsche Fahrer Rudolf Caracciola das erste Autorennen auf dem Rundkurs.
1897 Admiral Alfred Tirpitz wird Staatssekretär im deutschen Reichsmarineamt. Er ist maßgeblich am Aufbau der deutschen Flotte beteiligt.
Geburtstage: Isabella Rossellini (1952/Bild), italienisch-amerikanische Schauspielerin („Blue Velvet“), Tochter von Ingrid Bergman und Roberto Rossellini; Paul McCartney (1942), britischer Popmusiker und Komponist der Beatles
Todestag: Lew Kopelew (19121997), russischer Schriftsteller und Bürgerrechtler, 1981 nach Deutschland ausgebürgert: Curd Jürgens (1915-1982), deutscher Schauspieler („Des Teufels General“)
Namenstag: Felicus, Simplicius
Die „documenta“geht an diesem Wochenende in eine neue, mit Spannung erwartete 15. Runde. Neben der Biennale in Venedig gilt die Kasseler Ausstellung als prominenteste internationale Ausstellung für zeitgenössische Kunst. Aus Sicht des Horst-Janssen-Museums ist dies ein willkommener Anlass, auf eine besondere Verbindung hinzuweisen, die zwischen Oldenburg und Kassel besteht und mehr oder weniger in Vergessenheit geraten ist. Nicht allgemein bekannt ist, dass auch Horst Janssen einst auf der großen Bühne internationaler Gegenwartskunst zu sehen war: Im Jahr 1977 präsentierte er sich auf der documenta 6.
Bereits 1968 hatte Janssen durch seine Teilnahme an der 34. Biennale in Venedig viel Aufmerksamkeit und Anerkennung
Siebel.
erhalten, auch wenn seine Nominierung als Repräsentant der aktuellen deutschen Kunstszene und seine Auszeichnung mit dem Großen Preis für Grafik umstritten waren.
Zu den treibenden Kräften, die Janssens Bekanntheit und die Wertschätzung seines Werks seit Mitte der 1960er Jahre pushten, gehörte der Kunstschriftsteller und Ausstellungsmacher Wieland Schmied – einer der wichtigsten Fürsprecher der modernen und aktuellen Kunst in Deutschland nach 1945.
Schmied war seit 1963 Direktor der Kestner-Gesellschaft in Hannover und leitete diese bis 1974. Dieser renommierte Kunstverein war immer schon auf aktuell relevante, internationale Kunst fokussiert. Zu den Künstlern, deren Werk Schmied besonders einnahm, gehörte auch der junge Janssen. Ein Außenseiter der Szene, wie er fand, der mehr Sichtbarkeit und Raum verdiente.
1965 lud Schmied den damals 36-jährigen Janssen zu einer Solo-Schau nach Hannover ein, die großen Erfolg hatte und Janssen zum Durchbruch verhalf. Nur wenige Jahre später, 1973, präsentierte er ihn ein weiteres Mal – mit neuen Arbeiten. Dies ist eine bemerkenswerte Ausnahme in der Ausstellungsgeschichte des Hannoveraner Kunstvereins.
Schmied war es auch, der Janssen 1977 den Weg zur documenta ebnete. Gemeinsam mit den beiden Kunsthistorikern Carl Albrecht Haenlein
Dr. Sabine
Auswahl ausgestellter Zeichnungen von Horst Janssen; Band 3 des Kataloges „documenta 6“(Handzeichnungen, Utopisches Design und Bücher)
und Erich Herzog hatte man Schmied ausgewählt, die Abteilung der Handzeichnung für die documenta 6 zu kuratieren.
Diese dreiköpfige Arbeitsgruppe stellte nach mehrjähriger Recherche in Sammlungen, Ateliers und Galerien begeistert fest, dass die Zeichnung in den 1960er und 70er Jahren einen ganz neuen Stel
lenwert bei den Künstlern eingenommen hatte. Ja, sie sei sogar in das Zentrum künstlerischen Denkens gerückt. „Es wird heute mehr und intensiver, vielfältiger und verschiedenartiger gezeichnet als zu irgendeinem Zeitpunkt seit 1945“, so Schmied.
Ein Verständnis moderner Kunst sei ohne eine Beschäftigung mit der zeitgenössischen
Horst Janssen, Vadiscus sive trias Romsus – nach Grünewald; 1971, Blei- und Farbstift auf Papier
Zeichnung gar nicht möglich. Entsprechend umfassend und vielfältig sollte sich die Handzeichnung auf der documenta 6 präsentieren. Für rund 200 Künstler und 700 Arbeiten wurden neun unterschiedliche Abteilungen entworfen.
Janssen gehörte zur Abteilung „Kunst über Kunst“und zeigte 14 Zeichnungen: einige Selbstbildnisse, aber vor allem Variationen nach Alten Meistern. Zu Beginn der 1970er Jahre war er in einen Dialog mit den großen Meistern der Vergangenheit getreten. Diese Befragung von Vorbildern aus der Kunstgeschichte beschäftigte auch andere Künstler.
Und so hingen Janssens Zeichnungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Fernando Botero, Picasso, André Thomkins und Werner Tübke im oberen Geschoss der wiederaufgebauten Orangerie.