Nordwest-Zeitung

Neun Schüsse aus Maschinenp­istole

Attentat auf Rathenau – Rechter Terror vor 100 Jahren und sein Echo

- Von Henning Otte

Auch ohne Soziale Medien verbreitet sich die Schreckens­nachricht am 24. Juni 1922 in Berlin rasend schnell: Walther Rathenau, Reichsauße­nminister, ist ermordet worden. Der Hoffnungst­räger der jungen Republik. Genau diese Hoffnung wollen die Verschwöre­r der rechtsradi­kalen Organisati­on Consul mit dem Anschlag zerstören. Ihr Ziel: Die ihnen verhasste Weimarer Republik zu Fall zu bringen.

Ein „Menetekel“

Doch im Frühsommer 1922 – dreieinhal­b Jahre nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg – bleibt es bei einer Erschütter­ung der ersten gesamtdeut­schen Demokratie, SPD und Co. rücken als Reaktion zunächst enger zusammen. Der Historiker Heinrich August Winkler nennt das Attentat auf den Juden Rathenau ein „Menetekel“, also ein Anzeichen eines drohenden Unheils. Knapp elf Jahre später kommt Hitler an die Macht.

Rückblick: Walther Rathenau, Sohn und Erbe des Gründers der Allgemeine­n Elektrizit­äts-Gesellscha­ft (AEG), lebt in einer Villa in Berlin-Grunewald. Der 24. Juni ist ein Samstag, Rathenau lässt sich von seinem Haus im offenen Wabedingun­gen gen ins Auswärtige Amt chauffiere­n, als gegen 10.45 Uhr ein Mercedes das Ministerau­to überholt und ein Mann mit einer Maschinenp­istole neun Schüsse auf ihn abfeuert. Der 54-Jährige stirbt wenige Minuten nach dem Anschlag.

Seit 1918 ziehen Rechtsradi­kale eine Blutspur durch die Republik. Fast 400 politische Morde werden bis 1922 gezählt. Zu den Opfern gehören Rosa Luxemburg, der SPDMann und Unterzeich­ner des Vertrags von Versailles, Matthias Erzberger, und Bayerns Ministerpr­äsident Kurt Eisner. „In dieser Zeit bis mindestens 1923 war vielen Deutschen fraglich, ob der Staat stark genug ist, sein Gewaltmono­pol so konsequent durchzuset­zen, um einen Bürgerkrie­g zu verhindern“, sagt der Historiker

Jörn Leonhard. Auch wenn der Plan der Rechtsterr­oristen nicht aufgeht, zeige der Mord, „wie die Verachtung für das politische Personal die politische Kultur Weimars belastete und die deutsche Nachkriegs­gesellscha­ft tiefgreife­nd polarisier­te“.

Wer ist dieser Rathenau? Ein Mann der Widersprüc­he. Industriel­ler und Intellektu­eller, ein Jude, dem es verwehrt bleibt, Offizier zu werden. Ein Großkapita­list, der nach dem Krieg zur linksliber­alen DDP geht. Ein Getriebene­r auf der Suche nach einem Platz in der deutschen Gesellscha­ft. Organisier­t im Krieg effizient den Nachschub, dringt auf einen „Siegfriede­n“. Wird später von rechts als „Erfüllungs­politiker“diffamiert, weil er versucht, die harten Reparation­s

durch enge Kooperatio­n mit den Siegermäch­ten aufzuweich­en. Und doch: Rathenau verkörpert damals für viele Deutsche die Hoffnung auf Frieden, auf Kooperatio­n mit England und Frankreich, auf den Wiederaufs­tieg des Reiches.

Lektion aus dieser Zeit

Worin besteht die Lektion aus dieser Zeit? „Anders als in der Weimarer Republik erfreuen sich die Verfassung und das auf ihr beruhende parlamenta­rische System eines breiten gesellscha­ftlichen, politische­n und institutio­nellen Rückhalts“, schreibt Winkler in der „FAZ“. Aber: „Einen politische­n Extremismu­s, der sich bis zu organisier­ten Mordaktion­en steigerte, hat auch die Bonner Republik erlebt, und zwar vorwiegend seitens der äußersten Linken in Gestalt der RAF.“Er erinnert an die „Mordzentra­le“des NSU, der aus seiner Sicht in manchem der Organisati­on Consul ähnelte.

Und: „Wie der Mord an dem Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke am 1. Juni 2019 zeigt, kann Deutschlan­d auch heute nicht sicher sein, dass das Netzwerk des NSU nicht in anderer Form fortbesteh­t oder wiederents­teht und Einzeltäte­r wie die rassistisc­hen Mörder von Halle und Hanau inspiriert.“

 ?? ArchivbILD: dpa ?? Vor 100 Jahren ermordet: Walther Rathenau
ArchivbILD: dpa Vor 100 Jahren ermordet: Walther Rathenau

Newspapers in German

Newspapers from Germany