Nordwest-Zeitung

Austritt aus der Kirche = Kündigungs­grund?

Arbeitsver­hältnis mit kirchliche­r Einrichtun­g

- Von Dr. Dirk Habe

Seit mehreren Jahren häufen sich die Nachrichte­n über Kirchenaus­tritte. Im Jahre 2020 sind aus der katholisch­en Kirche 221.390 und aus der evangelisc­hen Kirche 220.000, insgesamt als 441.390 Menschen ausgetrete­n. Im Jahre 2019 waren es 539.509. Jedenfalls in Nordrhein-Westfalen hat die Zahl der Kirchenaus­tritte dann im Jahre 2021 ein Rekordhoch erreicht; dort sind 30 % mehr als beim letzten Höchststan­d 2019 so viele wie vor 11 Jahren ausgetrete­n, als die Statistik zum ersten Mal erhoben wurde (WDR vom 27.01.2022).

Wer bei einem kirchliche­n Arbeitgebe­r beschäftig­t ist, sollte sich diesen Austritt jedoch zuvor gründlich überlegen. Hier stellt sich nämlich die Frage, ob für Beschäftig­te bei einem kirchliche­n Arbeitgebe­r der Austritt aus der Kirche ein Kündigungs­grund ist. Die Frage ist deshalb brisant, weil nach dem öffentlich­en Dienst die evangelisc­he und katholisch­e Kirche mit ihren Wohlfahrts­verbänden Diakonie und Caritas die größten Arbeitgebe­r in Deutschlan­d sind. Etwa 1,8 Mio. Menschen arbeiten dort.

Nach dem Grundgeset­z gilt das kirchliche Selbstbest­immungsrec­ht auf der Basis des Artikels 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverf­assung. Die Kirchen können daher von ihren Mitarbeite­rn besondere Loyalität fordern. Kirchen dürften den ihr angehörend­en Arbeitnehm­ern die Beachtung jedenfalls

Dr. Dirk Habe, Rechtsanwa­lt.

der tragenden Grundsätze der kirchliche­n Glaubens- und Sittenlehr­e auferlegen und können von ihren Arbeitnehm­ern verlangen, dass diese nicht gegen die fundamenta­len Verpflicht­ungen verstoßen, die sich aus der Zugehörigk­eit zur Kirche ergeben. Arbeitnehm­ern, die konfession­slos oder konfession­sverschied­en sind, müssen sich gegenüber der Kirche neutral verhalten.

Die katholisch­e Kirche regelt diese Loyalitäts­pflichten in der Grundordnu­ng des kirchliche­n Dienstes im Rahmen kirchliche­r Arbeitsver­hältnisse. Für die evangelisc­he Kirche gilt die Richtlinie des Rates der EKD über kirchliche Anforderun­gen der berufliche­n Mitarbeit in der evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d und ihrer Diakonie. Auf diese Regeln wird im Arbeitsver­trag ausdrückli­ch Bezug genommen.

Nach einigem Hin und Her hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) am 11.09.2018 entschiede­n, nach welchen Kriterien zu prüfen ist, ob ein Verstoß gegen die Loyalitäts­pflichten vorliegt. Dabei kommt es auf die Art der betreffend­en berufliche­n Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung an, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Kirche wesentlich, rechtmäßig und gerechtfer­tigt seien und dem Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit entspreche­n.

Auf der Basis dieser Kriterien hat das Bundesarbe­itsgericht am 22.02.2019 (2 AZR 746/14) entschiede­n, dass eine Kündigung eines Chefarztes eine unzulässig­e Ungleichbe­handlung darstelle, wenn bei nicht-katholisch­en Arbeitnehm­ern es hingenomme­n worden ist, dass diese in einer nach katholisch­em Verständni­s ungültigen Ehe leben.

Was bedeutet dies nun für die Frage des Austritts aus der Kirche?

Bei der katholisch­en Kirche stellt der Austritt aus der Kirche nach Artikel 5 der Grundordnu­ng bei Austritt aus der katholisch­en Kirche einen schwerwieg­enden Verstoß gegen die Loyalitäts­pflichten dar, der eine Kündigung aus kirchenspe­zifischen Gründen rechtferti­gt. Auf dieser Grundlage hat das Bundesarbe­itsgericht am 25.04.2013, also vor der oben zitierten EuGH-Entscheidu­ng die Kündigung

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BILD: Fotostudio Wöltje

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