Die Testier(un)fähigkeit und deren Feststellung
Erbfolge kann nur auf Grundlage eines wirksamen Testaments erfolgen
Die testamentarische Erbfolge kann nur auf Grundlage eines wirksamen Testamentes erfolgen. Neben der Beachtung der erforderlichen Form (handschriftlich oder notariell beurkundet) bedarf es einer Testierfähigkeit (vergleichbar mit einer Geschäftsfähigkeit) des Erblassers , d.h. der Fähigkeit, seinen entsprechenden rechtlichen Willen frei zu bilden und zu äußern. Zum Schutz der Rechtsordnung ist so lange von einer Testierfähigkeit des Erblassers auszugehen, bis eine entsprechende Unfähigkeit eindeutig belegt ist. Da es bei der Beurteilung auf den geistigen Zustand des Erblassers während der Errichtung des Testamentes ankommt, gestaltet sich die Beweislage oftmals schwierig.
Verpflichtung der Nachlassgerichte zur Amtsermittlung
Fragen zur Testierfähigkeit gewinnen in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung und belasten die Gerichte. Nach § 352e FamFG hat das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren von Amts wegen die zur Feststellung der Testier(un)fähigkeit erforderlichen Ermittlungen vorzunehmen. Daher gibt es eine Vielzahl von Entscheidungen, die sich im jeweiligen Einzelfall mit den Voraussetzungen einer Testier(un)fähigkeit befassen. Weniger geklärt ist, wann die Nachlassgerichte überhaupt eine Aufklärung vornehmen müssen. Mit den entsprechenden Voraussetzungen hat sich das Oberlandesgericht Brandenburg in einem Beschluss vom 10. Januar 2022 (zu Aktenzeichen 3 W 101/21) befasst. Nach Auffassung des OLG Brandenburg ist die richterliche Aufklärungspflicht nur dann verletzt, wenn Ermittlungen nicht durchgeführt worden sind, zu denen ein konkreter Anlass bestand. Die Ermittlungen können hingegen abgeschlossen werden, wenn von weiteren Maßnahmen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht zu erwarten ist.
OLG Brandenburg: Keine Amtsermittlung ohne entsprechende Anhaltspunkte
Eine Grenze für die gebotene Amtsermittlung ist erreicht, wenn diese sozusagen „ins Blaue hinein“geschehe oder das Gericht einer lediglich denkbaren, rein theoretischen Möglichkeit nachginge. Bei der Aufklärung haben die Beteiligten durch eingehenden Tatsachenvortrag mitzuwirken. Ihrer Mitwirkungsund Verfahrensförderungslast genügen sie, indem ihr Vortrag und die Bezeichnung geeigneter Beweismittel dem Gericht Anhaltspunkte dafür geben, in welche Richtungen es seine Ermittlungen durchführen soll. Es bedarf daher für denjenigen, der sich auf eine Testierunfähigkeit beruft, der Darlegung konkret auffälliger Verhaltensweisen des
Dr. Ulf Künnemann, Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Erbrecht, Fachanwalt für Steuerrecht sowie Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht.
Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung, insbesondere solcher, die darauf hindeuten könnten, dass der Erblasser (wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen) nicht in der Lage gewesen sein könnte, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärungen einzusehen und (unbeeinflusst von fremdem Willen) nach dieser Einsicht zu handeln. Nur dann wenn solche Verhaltensweisen konkret dargelegt werden, ist das Nachlassgericht verpflichtet, die konkreten auffälligen Verhaltensweisen des Erblassers aufzuklären, Klarheit über den medizinischen Befund zu schaffen und anschließend die hieraus zu ziehenden Schlüsse zu prüfen. Bestehen dann weitere Zweifel an der Testierfähigkeit,
sind diese regelmäßig durch das Gutachten eines psychiatrischen oder nervenärztlichen Sachverständigen zu klären, wobei der Sachverständige anhand von Anknüpfungstatsachen den medizinischen Befund nicht nur festzustellen, sondern vor allem dessen Auswirkungen auf die Einsichts- und Willensbildungsfähigkeit des Erblassers zu klären hat.
Beweismöglichkeiten
Um sich auf eine Testierunfähigkeit zu stützen, bedarf es daher immer der konkreten Schilderung entsprechender besonderer Umstände gegenüber dem Nachlassgericht unter gleichzeitiger Angabe entsprechender Beweismittel. Als Beweis für eine Testierunfähigkeit können folgende Aspekte bedeutsam sein:
■ Zeugenaussagen von Nachbarn, Freunden, Pflegekräften, Ärzten, etc.
■ Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen
■ Psychologische oder psychiatrische Gutachten
■ Dokumentation der Pflegekräfte/des Pflegedienstes
■ Schriftliche Unterlagen des Erblassers
Ohne einen entsprechenden Vortrag ist das Nachlassgericht hingegen nicht verpflichtet, die behauptete Testierfähigkeit von sich aus weitergehend zu überprüfen.
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