NWZ (Göppinger Kreisnachrichten)
Appell gegen den Flächenfraß
Positionspapier Die Landwirte sorgen sich um ihre Äcker und Wiesen, immer mehr werden für Wohn- und Gewerbegebiete dauerhaft versiegelt.
Kreis Göppingen. Der Kreisbauernverband sorgt sich um den Bestand an Äckern und Wiesen. „Zwischen 1996 und 2018 gingen 1285 Hektar Landwirtschaftsfläche verloren.“
Die Dimensionen sind gewaltig: Pro Tag wird in Deutschland eine Fläche von 60 bis 70 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsfläche ausgewiesen. Meist geht das zulasten landwirtschaftlicher Flächen. Was das für den Kreis Göppingen heißt, rechnet der Kreisbauernverband vor: „In den letzten drei Generationen, von 1950 bis heute, wurden mehr Böden verbraucht und versiegelt als in den 100 Generationen davor. In unserem Landkreis gingen zwischen 1996 und 2018 insgesamt 1285 Hektar Landwirtschaftsfläche verloren, 58 Hektar pro Jahr.“
Zahlen und Zitat stammen aus einem Positionspapier, in dem der Kreisverband pointiert Stellung nimmt zum Thema Flächenverbrauch durch die Umwandlung landwirtschaftlicher Flächen in Gewerbe- und Wohngebiete: „Der Kreisbauernverband Göppingen betrachtet mit großer Sorge den weiter fortschreitenden Flächenverbrauch von Acker- und Grünlandflächen durch kommunale Planungen.“
„Fruchtbare Böden sind die wirtschaftliche Grundlage von uns Landwirten und ebenso die Lebensgrundlage unserer Gesellschaft. Sie erfüllen zahlreiche Funktionen: Sie sind Grundlage landwirtschaftlicher Produktion, also fast aller unserer Nahrungsmittel, Futtermittel und nachwachsender Rohstoffe. Daneben sind sie ein bedeutender Wasserspeicher und bieten dadurch Schutz vor Überflutungen, sie sind Voraussetzung der Grundwasserbildung und speichern enorme Mengen an Kohlenstoff, der dadurch gebunden ist und den Klimawandel bremst.“
Die Gegner der derzeit im Landkreis geplanten und umstrittenen Gewerbegebiete – der Gen- werbepark Lautertal in Donzdorf und das in unmittelbarer Nachbarschaft liegende interkommunale Gewerbegebiet Auen seien hier beispielhaft genannt – setzen zum Teil auf die gleichen Argumente wie die Kreisbauernschaft, und tatsächlich liest sich das Papier an einigen Stellen als Kritik an diesen Plänen. So sei das aber
nicht gemeint, sagt der Göppinger Landwirt Martin Bareis, der das Papier mitformuliert hat: „Wir wollen die Planer und Gemeinderäte nicht an den Pranger stellen, sondern ein Bewusstsein für die Probleme schaffen, für mehr Sensibilität sorgen.“
Das bestätigt auch Hermann Färber. Der CDU-Bundestagsabgeordnete aus Böhmenkirch vertritt den Landkreis in Berlin und ist vom Fach: Färber ist Landwirt und dazu Vorsitzender des Kreisbauernverbands: „Wir richten uns nicht gegen die Situation in Donzdorf.“Gleichwohl solle mit den vorhandenen Flächen, die nun mal endlich seien, „ein bisschen sparsamer umgegangen werden“, sagt Färber.
Dabei schlagen in Färbers Brust zwei Herzen: Das des Landwirts, der seine Flächen erhalten will, aber auch das des fünffachen Familienvaters, der weiß, dass nur
Kind den Hof weiterführt und die anderen, wenn sie in der Gegend bleiben wollen, Arbeitsplätze brauchen. Und die gibt es eben oft in den flächenfressenden Gewerbegebieten.
Es ist schwierig, das alles unter einen Hut zu bekommen, das Papier sei auch innerhalb des Bauernverbands kontrovers diskutiert worden, sagt Färber. Klar ist, dass die Zeit drängt, hierzu nochmal das Positionspapier: „Laut den aktuellen Planungen der Kommunen im Landkreis, von Land und Bund wird diese Entwicklung nahezu ungebremst weitergeführt werden: Nach den Zahlen des Arbeitskreises Göppingen des Landesnaturschutzverbands von 2019 sollen demnach im Landkreis bis 2035 weitere 780 Hektar Fläche durch Wohn- und Gewerbegebiete und Straßen neu bebaut werden, das entspricht circa 50 Hektar pro Jahr oder 1,3 Fußballfelder jede Woche!“
Für landwirtschaftliche Flächen kommt es dabei oft doppelt dick: Die Äcker werden mit Industriehallen bebaut, dann nehmen die gesetzlich notwendigen Ausgleichsmaßnahmen für das ausgewiesene Gebiet gleich nochmal Wiesen und Ackerland in Anspruch.
Die Verfasser des Papiers belassen es nicht beim Aufrütteln, sie zeigen auch Lösungswege auf: „Ziel der kommunalen Flächenplanung
muss eine Flächenkreislaufwirtschaft sein. Gewerbeflächen von stillgelegten Betrieben müssen konsequent und schnellstmöglich anderen Gewerbetreibenden zur Verfügung gestellt werden. Leerstehende Wohnimmobilien müssen konsequent durch Umbau oder Ersatzneubau wieder dem Wohnungsmarkt zur Verfügung gestellt werden, ebenso wie bebauungsfähige Grundstücke innerhalb der Gemeinden. Der Bund soll dazu neue Anreize schaffen, damit Grundstücke und Gebäude nicht nutzlos brachliegen.“
Dazu fordern die Landwirte ein Bodenschutzgesetz, das die Ackerböden wirksam vor Versiegelung schützt. Der Weg dahin kann lang werden, das weiß auch Färber. Wenn sich der Flächenverbrauch halbieren würde, wäre schon viel erreicht. „Wir müssen einen Kompromiss finden, mit Blick auf alles.“
Die
Flächen sind endlich.
Hermann Färber
Vorsitzender Kreisbauernverband